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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Knix zu haben, und schon auch schien ihm an diesem Kaffeetische hier so etwas wie ein Onkel mit seinen zwei Nichten zu sitzen (wobei er vergaß, daß der Altersunterschied zwischen ihm und der Pichler kein erheblicher, zwischen ihm und dem Lämmlein aber auch kein überwältigender war, denn dieses hatte immerhin schon den Anfang des diesbezüglichen lächerlichen vierundzwanzigsten Lebensjahres erreicht). Im Unterstock lärmten die Trópoi ein wenig, er hörte ein paar Züge sausen, ein paar Lichtlein sah er blitzen, aber es waren Züge, in welchen er selbst nicht mehr saß; alles klein, wie eine Spielerei-Eisenbahn, mit Uhrwerk: er könnt' es nur mehr von außen sehen. War demnach selbst also draußen und suchte keinen Ausweg mehr. Indessen hob sich dieser Jausentisch hier gleichsam schwebend empor – nachdem er sich erst vom übrigen Raum abgesetzt hatte, mit dem Stück Parkettboden, darauf er stand, wie mit einem Fußbrettchen auch für die drei Personen – hob sich, stieg schräg schwebend empor, wie eine Gondel, aber ohne zu taumeln. Und wenn es auch kein Gärtchen war, so hatte diese Gondel doch eine Art Baldachin oder Laube, entfernt erinnernd an jene der buntbemalten Märchen-Hochzeits-Kutschen, die es einst auf den ›Ringelspielen‹ im Wiener ›Wurstelprater‹ gegeben hat, der heute noch in der Welt draußen eine Art Berühmtheit genießt, wenn auch mit einiger Patina. Die Gondel schwebte, stieg; über Tiefen der Stadt und der Zeit, über Trópoi, und über tief versunkener Strudlhofstiege am baumreichen Hang, mit grünen Kuppeln, über Sonnengetüpfel und Blätterschatten; über eine Bärenjagd; und winzig klein, nur wie ein mit rotem Samt ausgeschlagenes Etui, war von hier heroben gesehen das Café Pucher. Der silberne Schaum der Auen jedoch rollte sich auf am Strome über der Stadt, je mehr man stieg in dieser Laube und freieren Horizont gewann. Wozu hier noch einen Ausweg suchen, wo doch jene eine und eigentliche Sorge in gar keiner Weise mehr bestand: nicht eigentlich gelebt zu haben? Paula kam auf ihre – wie sie ja nun beide wußten – alte Bekanntschaft mit Melzer hier nicht mehr zurück. Wenn man neben einem Glasschrank sitzt, muß man die Ellenbogen ein wenig an sich nehmen, und alle Bewegungen überhaupt; man muß wissen, was man tut. Und Melzer ließ es durchaus dabei. Ein wenig von früher zu sprechen, von seiner Militärzeit (nicht vom Kriege), das beflügelte und lüpfte ihn jetzt gleichsam; aber es war nur ein leichtes Streifen dieser Gegenstände, deren Erglänzen in einer sehr weiten Distanz – vielleicht war sie noch nie so weit gewesen – er zugleich dabei lebhaft empfand. Auch von der Bärenjagd erzählte Melzer ein wenig (Thea hörte ihm mit runden Augen zu), und damit im Zusammenhange erwähnte er freilich den Major Laska. Es war zu spüren, daß die Art, wie Melzer von diesem Kameraden sprach, auf Paula Pichler sehr erwärmend wirkte, daß sie gerade diese Seite melzerischen Wesens mit Sympathie begrüßte (und alles für Thea, immer auf Kundschaft für Thea, jedoch das merkte Melzer freilich nicht). Während er von der Bärenjagd erzählte – hier lag ja das Fell, sie betrachteten es, die Pichler kniete sogar einen Augenblick darauf nieder und griff in den Pelz! – erhob sich in Melzer zwischen zwei Atemzügen jenes Lebensgefühl von damals, als er vormittags, nach dem mißglückten nächtlichen Ansitz, mit Laska durch den Buchenwald gezogen war, leicht, und jeden gehorsamen Muskel im Genusse der Bewegung spürend. »War der Bär auch gleich tot von dem Schuß?« fragte Thea. Sie schien Sympathie zu haben für diesen Bären, sie hatte auch das schöne Fell ein wenig gestreichelt. »Eigentlich ja«, sagte Melzer, sich besinnend. »Es hat einen ungeheuren Ruck gegeben, er ist aufgesprungen, als wär's ein Stück vom Waldboden selbst, das da in die Luft geht, und dann zusammengefallen, und aus. Freilich verwendet man ja ein entsprechendes Gewehr. Dieser hat wohl gegen 200 Kilo gewogen, das ist für einen bosnischen Bären schon außerordentlich viel.« Gut so, aber alle gondelhaften Erscheinungen schweben rasch vorüber, und sie waren hier kaum eingestiegen in die Märchen-Kutsche, als sich erwies, daß die schöne Fahrt schon zwei und eine halbe Stunde gedauert hatte. Paula mußte gehen und die Thea freilich auch.
    Melzer begleitete die beiden. Man kam durch die Porzellangasse auf den Althan-Platz – in einem milchig ergossenen sanften Taubengrau und schon bei

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