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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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nach, nur aus Bemerkungen des Oberbaurates Schmeller damals erfahren hatte – eigentlich vor sich gegangen sei. Melzer tat's. Er berichtete. Jedoch der ganze Vorgang, wie sie nun hier standen und redeten über das, was einst gewesen war, hatte für den Major einen erkältenden Unterton, eine Empfindung flog ihn an, wie man sie beim Schwimmen haben kann, wenn man flach und rasch sich dahinbewegt hat in dem von der Sonne oberflächlich erwärmten Wasser und nun einhält, mit den Füßen hinabsinkt, steht: da wird die verhältnismäßige Kühle der unteren Schichten fühlbar, alles scheint von Kälte unterzogen. So ging's dem Major. Er war weit entfernt davon, sich jetzt zu erinnern, wie sehr er einst gewünscht hatte, mit Editha bezüglich der vergangenen Zeiten in gemeinsamen Erinnerungen übereinzukommen. Ja, ihm schien in seinem eigenen Bericht und in der Auseinanderlegung und Besprechung jener Vorgänge von damals fast etwas wie Schamlosigkeit sichtbar zu werden. Jedoch, stärker als dies alles – was rasch im unteren Schnürboden des Gemütes fädelte – blieb oben noch die Gewalt äußerer Welt, Edithas Erscheinung, wie sie vor ihm jetzt die Treppen hinaufging, mit einer merklichen seitwärtigen Heraus-Schiebung ihrer Hüften beim Gehen; und vielleicht erschienen diese gerade nur dadurch breiter als sie eigentlich waren. Mit dem Näslein bestand auch irgend so ein Geheimnis: jetzt etwa sah es ganz gerade aus. Sie gingen oben durch die Strudlhofgasse bis zur Bolzmanngasse heraus und dann genau den gleichen Weg, welchen Melzer einst mit Asta von Stangeler gemacht hatte. Es war hier fast leer und still. Sie sprach ganz vertraut mit Melzer, auch von dem bevorstehenden Feste zu zweit, ja das vor allem, und er nahm an dieser Vertraulichkeit sofort teil – als springe er ihr bei, als helfe er ihr, etwas zu stützen, zu tragen und in Balance zu halten – und sie beklagte sich über ihre jetzige Inanspruchnahme durch verschiedene Umstände und die Behinderung daran, diesen Tag festzusetzen, aus noch einem anderen Grunde, den Melzer leicht erraten konnte. Dies war gut, sie waren beisammen, es war wie ehelich.
    Erst nach diesem Spaziergang am Donnerstag mit Editha begann für den Major der raschere Zeitfluß eigentlich recht fühlbar zu werden. Stangeler, der, so schien's, sich dauernd hier in dieser Gegend herumtrieb (was ja wegen seiner Grete wohl begreiflich), begegnete ihm am darauffolgenden Tage, Freitags, und doch kam es dem Major so vor, als ob dies unmittelbar nach seinem Beisammensein mit Editha und dem mehr oder weniger gezwungenen Bericht auf der Strudlhofstiege erfolgt sei. Es war in der Fürstengasse gewesen, daß er ihn getroffen hatte (und vielleicht ist René damals wieder über die Stiegen heruntergekommen). »Halloh, halloh, Herr von Stangeler!« (denn dieser wäre glatt an ihm vorbeigelaufen und hatte merkwürdigerweise im Gehen seine schiefen Augen bis auf einen Spalt zusammengekniffen, wie eine Katze am hellen Tag). »Sagen Sie mir doch, warum haben Sie eigentlich am Mittwoch vor acht Tagen bei mir nicht erwähnt, daß ich diese – übrigens reizende! – Frau Paula Pichler kenne oder kannte, wenn auch nicht ihren Namen? Das haben Sie doch eigentlich alles wissen müssen.« Dem Major war damals nie bewußt, daß er in letzter Zeit eine Genauigkeit zu entwickeln begann, welche über die doch meist nur mittlere Belichtung des umgebenden Le bens erheblich, ja fast gefährlich hinausging: und das vielleicht um so mehr, je weniger er für sich noch einen Ausweg suchte … zudem, er war, ebenfalls ohne es selbst irgendwie auffallend zu finden, mit allen hier in Frage kommenden Sachen unausgesetzt beschäftigt. Er lebte sozusagen um die Strudlhofstiege herum, nicht nur örtlich, auch innerlich, ja in immer engeren Kreisen, schon fast Wirbeln. Stangeler, der augenblicklich vielleicht von wo ganz anders her kommen mochte, starrte ihn verblüfft und zunächst vollends ratlos an. Sie standen unweit des jetzt offenen Einganges zum Parke. Melzer war in seiner Sache keineswegs aufzuhalten. Rasch grub er durch irgendwelchen aktuellen Schotter, der den René jetzt vielleicht von ihm trennte. Aber noch flog der erste Staub in Gestalt von Jahreszahl und Hinweis, alter Schmeller und das Herumstehen nach allem auf der unteren Rampe – »Ja freilich!« rief da René und ergriff Melzer am Oberarm, »sehen Sie! sehen Sie! – das heißt: Sie sehen ja. Ich war ja blind. Da war eine unsichtbare Mauer, eine im Inneren:

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