Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
es ihn mit. Aber in anderer Weise, als er bisher mitgenommen worden war. Aber doch leuchtete etwas über dieser Schlacht, in welcher nicht gekämpft wurde, so wie über einem wirklichen Schlachtfelde der Himmel, die durchbrechende Sonne, die Hügelränder ihre Licht- und Schattenspiele machen, die rein gar nichts zu tun haben mit allem, was da in der Ebene mit Angriff und Abwehr, mit Umgehen und Umfassen sich vollzieht. Aber dennoch, wer in der Schlacht war, hat aus ihr unversehens vielleicht auch die Erinnerung an einen Wechsel der Beleuchtung mitgenommen (sofern er überlebte freilich), und in seinem Gedächtnisse ist beides übereingekommen und hat darin einen Zusammenhang von unvorstellbarer Festigkeit gewonnen, der ganz unleugbar ist, so wenig dort und damals auch die plötzliche Besonnung eines Waldstreifens und das smaragdene Auf leuchten der Laubkuppeln auf Furcht und Hoffnung, Kühnheit und Gelingen, Siegen oder Verzweifeln eine Wirkung oder irgend einen Bezug zu haben schienen.
    Unter dem Haustor gab er ihr die Hand, freilich, er küßte die ihre nicht. Er verbeugte sich. Und im Wiederaufrichten: sie sah ihn an und hatte etwas Geöffnetes und Schwimmendes im Aug', wie eine Wasserfläche über die der leichte Wind geht und sie kräuselt. Und: spürte er nicht ihre Hand sehr warm?
    Ja, mit leichtem Druck.
    Aber das blieb oben. Es hatte nichts zu sagen, keinerlei Bezug, so wenig wie jene besonnten Hügelränder unter dem sich öffnenden Himmelsaug', oder der smaragdene Streifen des Waldes.

    Noch war der Herbst nicht heran. Noch sprach von ihm kein äußeres Zeichen. Nur tief innen begann ein nach allen Seiten Hinausgezogen-Werden von saugender, zehrender Stärke, zu fernen Rändern ziehend, so wie hier der Kern und Stern der Stadt vom Zentrum in die vier Windrichtungen ausfiel mit den Straßen: in's noch immer Grüne, in's Offene, dem entfremdet man hier ging und stand. Die Sonne leuchtete durchsichtiger, geklärter auf den Häusern gegenüber Melzers Zimmer, auf dem weißen Bewurf wie frisches Wasser. Was er mit Erstaunen bald feststellen mußte – so weit man bei solchen Sachen eine Feststellung eigentlich machen kann – war: daß die Zeit rascher verging. Von Mittwoch nach Mariä Geburt an. Schon war der nächste Abend da, es wurde fünf, Edithas Anruf sollte kommen. Es duftete noch der eben genommene Kaffee. Ernst klingelte der Apparat. Es klang ernst: Melzer fühlte das so, dieses erwartete Signal. Die Stimme warm. Es war sehr reizend. Schon setzte er den Hut auf und nahm zu den Handschuhen heut' einen Stock, der lange – viel, viel länger als Melzern das jetzt gegenwärtig sein konnte – draußen im Schirmständer gelehnt hatte: ein kurzer Rohrstock mit goldenem Knauf. Wirklich trafen sie einander auf der Strudlhofstiege und nicht etwa auf halbem Wege zwischen ihren Wohnungen oder bei Editha an der Lände, was an sich viel naheliegender gewesen wäre. »Ich muß mich jetzt um meine Eltern kümmern«, sagte sie, »das kostet viel Zeit. Sie sind überraschend aus Meran zurückgekehrt, weit früher als ihre ursprüngliche Absicht war. Der Papa ist gar nicht wohl. Ich verbring' meine Tage fast ganz in der Gußhausstraße. Hab' ein schlechtes Gewissen diesbezüglich. Die Alten sind von mir leider sehr vernachlässigt worden in den letzten Jahren. Das geht nicht mehr so weiter. Und wenn ich einmal drüben bei ihnen bin, lassen sie mich nicht weg.« Melzer war erfreut, daß sie so vertraulich zu ihm sprach von ihren Angelegenheiten – wie zu einem Gatten. Beinahe berührte es ihn so. Er hatte durch Sekunden eine ihm fremde und darum auffallende Empfindung des Besitzes: des schon vollzogenen. Es war vorbei. Vorbei auch der Gipfel vom Berg des Lärms, den die Spannung im eigenen Blut machte. Die dicke Schoppung und Stopfung des Sommers gelöst, alles gelichtet, Kontur trat durch, dünnerer Sonnenschein, auch hier auf der Stiege, welche im geneigten, vergoldenden Abend stand: aber mit noch vollen, dichten, reif-grünen Baumkuppeln. Über dem kleinen, ockergelben Palais, rechts oben, ästelte es filigran in den Himmel. Editha und Melzer standen auf der unteren Rampe, über der Brunnenplattform, über dem Geträtsche des Wassers, gerade in der Mitte. Es blieb bei einem kleinen Spaziergang. Aber zunächst verweilten sie noch hier. Und Editha ließ sich jetzt von Melzer einmal ganz genau schildern, wie jener Skandal hier auf den Stiegen vor vierzehn Jahren – von welchem sie, ihrer beiläufigen Erwähnung

Weitere Kostenlose Bücher