Die Strudlhofstiege
und rechts der Rampen und über diesen schon stellen- und fleckenweis herbstlich verfärbt waren.
Er erriet. Nicht umsonst hatte er vor drei Wochen des Pompejus Legionen untergehen gesehen. Nur kurz: »sie selbst –?«, ein Nicken Stangelers, und man war verständigt. Dann erst verlangte Melzer alles im einzelnen zu wissen. Als er René noch bekanntgeben wollte, was er am Ende des August mit eigenen Augen dort auf dem Lande draußen gesehen und als Anwesender erfahren hatte, zeigte Stangeler sich davon unterrichtet. Durch Asta. Sie war, kurz nach Renés Abreise, auf die alarmierenden, wenn auch noch ungenauen Nachrichten hin, welche ihr Mann, der gute Baurat Haupt, ihr hatte weitergeben müssen, in die Stadt hereingekommen. Nach der Rückkehr von Budapest sprach René freilich zu allererst mit Asta und Haupt. Im übrigen war mittags eine Art Familien-Konferenz einberufen worden, an welcher verschiedene Verwandte teilnahmen und wobei zur Debatte stand, wie man es den Alten draußen sagen sollte, vor allem aber eigentlich: was?! Hier tra ten nur Haupt und René bedingungslos für die Wahrheit ein, sei's auch auf Kosten der Schonung. Die Äußerung Renés (die er auch Melzern gegenüber jetzt wiederholte) »man kann doch nicht vor jemandem, der sein Kind durch Selbstmord verloren hat, diesen Umstand geheim halten – das hieße ja, dem Betreffenden ein Stück seines höchsteigenen Schicksals stehlen« – diese Äußerung wurde übergangen, nicht gehört, oder nicht aufgefaßt, wie es stets mit allen Äußerungen Renés im Familienkreise zu gehen pflegte: man hielt sie von vornherein für abseitig, verdreht und unerheblich (aber das wird auch seine Gründe gehabt haben). So einigte man sich denn auf die Vertuschung und erfand eine plötzliche katastrophale Kopfgrippe oder etwas dieser Art, wahrscheinlich war's ein medizinischer Blödsinn (und mit derlei vermeinte man den alten Stangeler abfertigen zu können; er hat übrigens dann gar nichts entgegnet, nur die Nasenflügel witternd ein wenig hochgezogen, alles gewußt und nie was gesagt, sondern mit Rücksicht auf seine Frau, die sich leicht und gerne täuschen ließ, in's gleiche Horn geblasen). Auch Asta ließ sich zur Vertuschung herumkriegen; in ihr siegte wohl die tiefe Zärtlichkeit für den alten Mann, welche allezeit in ihr lebendig war. Sie wollte ihm vor allem anderen nicht weh tun lassen. Und so wurde am Ende auch den im fernen Auslande lebenden älteren Schwestern eine Verständigung im gleichen Sinne zu Teil. Nach jener FamilienKonferenz, die bis halb vier etwa gedauert hatte, befand sich René nun auf dem Weg zu Grete: am Telephon, nach seiner Rückkunft aus Budapest, war ihr von ihm nur diese selbst gemeldet worden, und Stangeler erwies sich dabei als einfach außer Stande, das Gewicht der eigentlichen Nachricht, die er zu geben hatte, durch den fistelnden und summenden Draht in ganz unanschaulicher Weise an Gretes Ohr zu bringen. Ihre drängenden Fragen beantwortete er nur damit, daß er ihr alles nachmittags sagen werde; jetzt am Telephon aber sei ihm dies nicht möglich. Und weil René das familiäre Hin und Her und die Schwierigkeiten der zu fassenden Entschlüsse voraus sah, kündigte er sein Erscheinen bei Grete für frühestens fünf Uhr an (indessen kam man doch schon zeitiger zu einem Schluß und Beschlusse), ja, er fügte die Bitte hinzu, von Pünktlichkeit diesmal dispensiert zu sein: es könne wohl auch später werden.
So stand er denn, als der erste Schwall vorbei war, um halb vier auf der Straße.
Jedoch ohne sofort zu Grete zu eilen.
Er zögerte sogar sehr damit. Er zögerte tief da drinnen, tief inwärts möchte man sagen. Seine Verfassung war eine solche, daß er schon die Treppe im ›Stein-Haus‹ allein, mit ihren sinnlosen Schnüren und Quasten, mit ihrem Lift in der Mitte, nicht hätte – zu konsumieren vermocht. Er empfand sogar seine gegenwärtige absolute Unfähigkeit dazu, und zwar in nicht unähnlicher Weise wie Melzer damals in den Auen bei Greifenstein sich ganz und gar außer Stande gefühlt hatte, der Editha Schlinger von seinem Obersten Laska zu erzählen.
So, mit im Innern schwankender Waage, zögernd, gelangte Stangeler am Ende dorthin, wo er, in einer ganz abseits aller Vernünftigkeit liegenden Weise, den Nabel der Geschehnisse vermutete. Und erblickte dort den zögernden Major in dem unteren, kurzen, dem stillsten Stück der Strudlhofgasse stehend, selbst von oben her eben beim Gewäsch und Geträtsche des
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