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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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dabei, er stand geduldig und bald auch allein herum in dem weißen Salon mit der weiten Aussicht (wo der Teetisch für zwei gedeckt war), denn Mimi war sogleich verschleppt worden: durch die eine der beiden Flügeltüren mit den Supraporten von Engeln und Weintrauben, durch die rechter Hand liegende, wenn man eintrat (gegenüber ging's in Mimis großes Schlafzimmer – ›zur Gondelfahrt‹ – während Editha sich seit ihrer Rückkehr mit dem kleineren hinter der Tapetentür begnügte). Jener rechtsgelegene Raum, den die Zwillinge kaum benützten – er war ursprünglich als Speisezimmer gedacht und eingerichtet gewesen – enthielt jetzt auch mehrere schöne und große von Editha angeschaffte Garderobe-Schränke, und darin befanden sich die Schlingerischen – zum Teil gedoppelten – Schätze. Während nun die Zwillinge in gegoldetes Beige schlüpften, hob der Rittmeister das Gemäß aus der Hüftentasche (was blieb auch sonst übrig?) und wollte eben den blanken Silberkopf abschrauben, als die Klingel von der Wohnungstür ertönte: wahrhaftig, ein sprühendes Sternchen sprang vor's Aug.

    Eine sah aus dem Garderobe-Zimmer heraus (und der Rittmeister, Deibel noch mal!, wußte einen Augenblick lang nun selbst und wirklich nicht, welche es sei, denn sie hatten schon die neuen Kleider halb an) und rief gedämpft:
    »Schau nach, ob es Melzer ist, Otto, und sag's uns dann. Aber mach' noch nicht auf!«
    Eulenfeld ging; langsam, ja bedächtig. Man hörte ihn im Vorzimmer durch die Türe hinausrufen: »Ein kleines Augenblickchen, bitte, ich öffne sogleich.« Dann kam er zurück und sagte:
    »Es ist Thea Rokitzer.«
    »Hui!« rief Editha leise. »Die wird gerollt. Die lassen wir jetzt was anschaun! Führ' sie in das kleine Schlafzimmer. Dort soll sie bleiben bis wir fertig sind; Mimi muß rasch noch an dere Strümpfe nehmen. Sag' ihr, es gäbe eine große Überraschung für sie! Und sie soll nicht herauskommen bevor du sie rufst. Die Mimi geht hinüber: dann läßt du die Thea heraus, klatschst in die Hände, und wir treten von links und rechts auf durch die großen Türen und gehen direkt auf sie zu. Ja? Versteht ihr?«
    »Ja«, sagte Mimi und nickte, sogar mit einem gewissen Eifer. Editha schien das zu beglücken, denn sie umarmte plötzlich und rasch ihre Zwillingsschwester und küßte sie.
    »Wohlan denn!« sagte der Rittmeister nicht ohne Dekor, »macht euch fertig und dann auf die Plätze! Denique comoedia finita erit.« Und entschritt in's Vorzimmer.

    Thea war abwesend, aber wovon, hätte man schwerlich sagen können: denn von einem perfekten Vakuum abwesend zu sein ist noch paradoxer als nicht zu kommen, weil man nicht gekommen ist.
    Sie hatte auf ein Sesselchen sich niedergesetzt, das da zunächst stand, grad neben dem Bett vor dem bequemen Gestell in Weiß und Messing, mit seinen gläsernen Ablage-Flächen, die durcheinander verräumt waren mit Büchern, noch mehr mit Briefen und Papier.
    Sie las den Namen ›Melzer‹, und zwar so, wie sie selbst jetzt diesen Namen als einzigen Inhalt enthielt, als Gesamt-Bezeichnung gleichsam des eigenen Vakuums: ganz einfach mit Blei oder Tintenblei auf ein Papier geschrieben. An dessen unteren Rand. Es war ein Achtelbogen mit Maschinenschrift. Thea öffnete ihre Ledertasche und nahm den Namen (freilich samt dem Papier) zu sich hinein.
    Jedoch da stand er schon wieder. Diesmal mit Tinte, in der gleichen Schrift: am unteren Rande einer großen Papierfläche,
    die da und dort klein bedruckt war, sonst aber nur mit irgendwelchen Linien, Einteilungen, Rubriken.
    Thea nahm auch diesen ›Melzer‹ zu sich.
    Jedoch da war er wieder. Und noch zweimal. Dann kamen mehrere Papiere der gleichen Art, aber ohne ›Melzer‹. Thea nahm auch diese. Darunter war nur mehr die durchscheinende leere Glasfläche. Thea drückte den Verschluß ihrer Tasche zu. Draußen rief der Rittmeister.

    Die Rokitzer hat auf das, was jetzt mit ihr veranstaltet wurde in einer nicht vorauszusehenden Art reagiert.
    Denn als der Rittmeister in die Hände klatschte (eben als Thea durch die Tapetentüre hervortrat) und in dem weißen Salon links und rechts die beiden Damen in gegoldetem Beige erschienen und alsbald von beiden Seiten lächelnd auf Thea zueilten, stieß diese einen kurzen Schrei aus – keinen hellen, sondern einen tiefen, gleichsam aus der innersten Kammer, der an das Röhren des Wilds erinnern konnte – und ging, noch ehe sie erreicht worden war, in langen Fluchten mittendurch ab. Dem Rittmeister

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