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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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irgendeiner Weise zu eröffnen. Es war bei dieser Gelegenheit übrigens, daß der Rittmeister beschloß, dem Scarlez – dessen Briefe auch bereits Ungeduld zeigten, wenn auch nicht in ultimativer Form wie jene des famosen Gustav – morgen ein Kabel zu senden: er möge zusehen, herüber zu kommen und die Dinge mit seinen Schwiegereltern selbst in Ordnung zu bringen. Da würden sie denn beide, die diesbezüglichen Schwiegersöhne, auf der diesbezüglichen Bildfläche erscheinen. Vorher waren noch die Töchter in gedoppelter Form denen Eltern kurzerhand zu präsentieren. Er gedachte hier wirklich, der Rittmeister, nach Schluß der Komödi'kurzen Prozeß zu machen. Während der Krankheit des alten Herrn Pastré, nach dessen Rückkehr aus Meran, war ihm schon einigermaßen angst und bang geworden für Mimi und ihre Sache, die Versöhnung mit den Eltern sowohl als auch die Erbschaft: denn wenn Editha inzwischen heiratete: konnte man's wissen, was der famose Gustav hier plötzlich einen würde anschauen lassen, bei nicht geändertem Testamente? Und so weiter. Um ihr Pflichtteil konnte er Mimi zwar niemals bringen, jedoch der Schaden für sie und Enrique war dann gerade groß genug! Glücklicherweise ging's deme ollen Pastréerich bedeutend besser. Aber was bestand da schon für 'ne Sicherheit, bei neunundsiebenzig Jahren! Aetatis suae septuagesimo nono. Derohalben: sobald wie möglich: ganze Familie – in die Zirkel geritten! Hier mußte eine Kontrollversammlung abgehalten, kurzer Prozeß gemacht, ein allgemeines Familienglück arrangiert und, wenn nötig, octroyiert werden! »Wär' was für den aktivistischen Idioten Negria!« Das dachte der Rittmeister noch als Letztes, dann fuhr er aus seinen Überlegungen und riß zugleich Mimi aus sämtlichen, wie immer Namen habenden strähnigen, regenbogenfarbenen Träumen. »Fünf Uhr schon. Nu mach'n ma uns fertich.«
    »Aber wozu denn?«, sagte Mimi etwas weinerlich. »Wir wissen doch noch gar nicht …«
    »Wiß'n ma. Melzer kommt bestimmt nich zu Edithchen.« 
    »Wieso?«
    »Paradox und einfach: weil er sonst längst gekommen wär'. Zu dir allbereits – vastehste, mein Engel? Also hab' die Güte, de te lever, will sagen uffzustehn, damit ma gleich rüberkönn'. Edithchen scheint heut in hohem Grade assistenzbedürftig.«
    Sie gehorchte ihm. Es war noch immer das bequemste. Tatsächlich bracht' es der Rittmeister so weit, daß sie beide um ein Viertel nach fünf fertig angekleidet zum Ausgehen im Vorzimmer beim Telephon-Apparate standen; Mimi ganz ergebenen Gesichts-Ausdruckes. Fünf Uhr siebzehn klingelte der Apparat. Mimi sah erweiterten Auges auf Eulenfeld.
    Es war wirklich Editha. »Kommt, und bitte rasch. Ich will nicht allein sein. Gib den Hörer einen Augenblick noch der Mimi.«
    »Jawoll«, sagte der Rittmeister. »Hör' mal, Edithchen, wir sind in zwei Minuten drüben. Sollte inzwischen der Melze rich noch immer nicht gekommen sein, dann lasse die Wohnungstür ein wenig offen, die Türe auf 's Treppenhaus, will ich sagen, nur einen Spalt weit, angelehnt. Ist sie aber geschlossen, dann wissen wir, daß du nicht mehr alleine bist, klingeln gar nicht, sondern kehren gleich um. Hast' mich verstanden, Brüderchen, niedliches?«
    »Ja, Otto«, sagte sie, »die Tür wird bestimmt offen sein.«
    Jetzt sprachen die Schwestern durch wenige Augenblicke miteinander: ein zärtliches Gemunkel. Mimi wehrte irgendwie liebevoll ab, als kämen von da drüben die übermäßigsten Lobeserhebungen oder Liebeserklärungen.
    Der Rittmeister sah indessen auf die Uhr (noch nicht zehn vor halb sechs) und sodann kurz nach dem Rechten im Heime: Gashähne, Lichtschalter, Aschenbecher. Mit Mimi auf den Gang getreten, zog er sorgfältig die Türe zu, nicht ohne sich vorher zu vergewissern, daß er seine Schlüssel in der Tasche trug. Die Art, in welcher Mimi diese sekundenlangen aber gesammelten Griffe und Kontrollen abwartete, entsprach durchaus dem Verhalten eines artigen Kindes, während ein Erwachsener das oder jenes Erforderliche tut. Sie sah auch wie ein Kind aus. Die präzise Vorhersage von Edithas telephonischem Anruf und dessen promptes Eintreffen hatten wieder einmal einen jener Augenblicke geschaffen, aus deren nicht geringer Zahl die Autorität Eulenfelds gegenüber den Zwillingen letzten Endes und gleichsam als aus Molekülen bestand.
    Edithas Wohnungstür lud offen zum Eintritt, sogar weit, und der Empfang gestaltete sich so zärtlich wie stürmisch. Der Rittmeister stand mit Geduld

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