Die stumme Bruderschaft
gar nicht.
»Sei leise, und setz dich. Sag deinem Freund, dem Bullen, er hatte Recht. Sie wollen den Stummen umbringen.«
»Wer?«
»Die Bajerai-Brüder.«
»Und warum?«, fragte Genari erstaunt.
»Was weiß ich! Ist mir auch egal. Ich habe meinen Teil erfüllt, jetzt soll er seinen erfüllen.«
»Kannst du es verhindern?«
»Verschwinde.«
Genari eilte in sein Büro und rief Marco Valoni auf dem Handy an.
Marco las. Er war müde. Sie hatten einen Probelauf mit dem Verfolgungsteam gemacht. Dann hatte er noch einmal die unterirdischen Gänge inspiziert und stundenlang Wände abgeklopft, ob er irgendwo das charakteristische Geräusch eines Hohlraums vernahm. Major Colombaria hatte Marco geduldig begleitet und ihn erneut zu überzeugen versucht, dass dort unten nichts war, was er nicht schon gesehen hatte.
»Signor Valoni, ich bin’s, Genari.«
Marco sah auf die Uhr, es war schon nach Mitternacht.
»Sie hatten Recht, jemand will den Stummen töten.«
»Erzählen Sie mir alles.«
»Frasquello hat herausgefunden, dass zwei Brüder, Türken, die Bajerai, den Stummen kaltmachen wollen. Anscheinend haben sie Geld dafür bekommen. Morgen soll das Ganze über die Bühne gehen. Sie sollten den Stummen so schnell wie möglich aus dem Gefängnis herausholen.«
»Nein, das können wir nicht. Er wird sofort Verdacht schöpfen, und dann ist die ganze Operation im Eimer. Wird Frasquello seinen Teil erfüllen?«
»Ja, er ist dabei. Er hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass Sie nun Ihren Teil erfüllen sollen.«
»Das werde ich. Sind Sie im Gefängnis?«
»Ja.«
»Gut. Dann werde ich den Direktor aufwecken. Ich bin in einer Stunde da. Ich will alle Informationen über diese Brüder, die Sie haben.«
»Es sind Türken, keine schlechten Kerle, sie haben im Streit einen umgelegt, aber sie sind keine Mörder, na ja, keine professionellen, meine ich.«
»In einer Stunde können Sie mir das alles genauer erzählen.«
Marco weckte den Gefängnisdirektor und bat ihn, in sein Büro im Gefängnis zu kommen. Dann rief er Minerva an.
»Hast du schon geschlafen?«
»Ich habe gelesen. Was ist?«
»Zieh dich an, ich erwarte dich in fünfzehn Minuten in der Eingangshalle. Ich will, dass du zum Hauptquartier der Carabinieri gehst, dich an den Computer setzt und mir alle Informationen über ein paar schräge Vögel verschaffst. Ich werde ins Gefängnis gehen und dir von dort aus mitteilen, was sie über sie wissen.«
»Was ist denn los?«
»Meine Ahnung hat mich nicht getrogen: Zwei Typen wollen den Stummen umbringen.«
»Mein Gott!«
»In fünfzehn Minuten hier unten. Beeil dich.«
Als Marco ins Gefängnis kam, wartete der Gefängnisdirektor schon in seinem Büro auf ihn. Er gähnte, und man sah ihm an, dass er müde war.
»Ich will den Bericht über die Bajerai.«
»Die Brüder Bajerai? Was haben sie denn getan? Vertrauen Sie auf das, was dieser Frasquello gesagt hat? Und, Genari: Wenn das hier vorbei ist, müssen Sie mir mal Ihre Beziehung zu Frasquello erläutern!«
Der Direktor suchte den Bericht heraus und gab ihn Marco. Der hatte keine Zeit, sich großartig hinzusetzen, und überflog die Seiten. Als er fertig war, rief er Minerva an.
»Ich schlaf gleich ein.«
»Dann rappele dich jetzt auf, und such mir alles über diese Türkenfamilie. Ich will alles über sie und ihre Angehörigen wissen. Frag bei Interpol und der türkischen Polizei nach, in drei Stunden will ich einen vollständigen Bericht.«
»In drei Stunden? Vergiss es. Gib mir Zeit bis morgen.«
»Um sieben.«
»Okay, fünf Stunden, immerhin etwas.«
Der Frühstücksraum des Hotels öffnete um Punkt sieben. Minerva ging hinein, sicher, Marco dort anzutreffen. Ihre Augen waren von dem Schlafmangel und den vielen Stunden am PC ganz rot. Ihr Chef las die Zeitung und trank Kaffee. Er sah nicht gut aus, auch ihm sah man die schlaflose Nacht an.
Minerva legte zwei Mappen auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Uff, ich bin total fertig!«
»Kann ich mir vorstellen. Hast du etwas Interessantes herausgefunden?«
»Kommt darauf an, was du unter interessant verstehst.«
»Schieß los, dann weißt du’s.«
»Die Bajerai-Brüder sind die Söhne türkischer Einwanderer. Ihre Eltern sind erst nach Deutschland und von dort aus nach Turin gegangen. Sie hatten Arbeit in Frankfurt, aber die Mutter konnte sich mit der deutschen Mentalität nicht anfreunden, und so haben sie ihr Glück hier versucht, weil sie hier Verwandte hatten.
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