Die stumme Bruderschaft
Die Kinder sind Italiener. Der Vater arbeitete bei Fiat und die Mutter als Putzfrau. Die Jungen sind in die Schule gegangen und waren nicht besser und nicht schlechter als andere Kinder. Der Ältere war fleißiger und schlauer. Seine Zeugnisse sind gut. Nach der Hauptschule hat er bei Fiat angefangen wie sein Vater, und der Jüngere wurde als Chauffeur bei einem hohen Tier der Regionalregierung angestellt, einem gewissen Regio. Der hat ihn genommen, weil die Mutter bei ihm Putzfrau war. Der Ältere hat es nicht lange bei Fiat ausgehalten, das Arbeiterdasein war nichts für ihn, und so hat er einen Stand auf dem Markt gemietet und Gemüse verkauft. Es ging ihnen gut, es gab keinen Ärger, weder politisch noch mit der Steuer. Nichts. Der Vater ist pensioniert, die Mutter auch, sie leben von der Rente und ihren Ersparnissen. Sie haben keine Besitztümer außer dem Haus, das sie unter großen Anstrengungen vor fünfzehn Jahren gekauft haben. Vor ein paar Jahren waren die Bajerai-Brüder mit ihren Freundinnen an einem Samstagabend in einer Diskothek. Ein paar Betrunkene haben anzügliche Bemerkungen gemacht, und einer hat wohl der Freundin des Älteren einen Klaps auf den Po gegeben. Im Polizeibericht steht, die Brüder hätten ihre Messer gezogen und seien auf die Betrunkenen losgegangen. Ein Kerl wurde getötet und der andere so schwer verletzt, dass er seinen Arm nicht mehr benutzen kann. Man hat sie zu lebenslänglich verurteilt. Ihre Freundinnen haben nicht gewartet. Sie haben inzwischen geheiratet.«
»Was weißt du von ihrer Familie in der Türkei?«
»Arme Leute. Sie kommen aus Urfa, in der Nähe der Grenze zum Irak. Über Interpol hat die türkische Polizei uns eine E-Mail geschickt, mit allem, was sie über die Familie Bajerai haben, und das ist sehr wenig und uninteressant. Der Vater hat einen jüngeren Bruder in Urfa, er steht kurz vor der Pensionierung. Er arbeitet auf den Ölfeldern. Ah! Sie haben auch noch eine Schwester, die mit einem Lehrer verheiratet ist, sie haben acht Kinder. Es sind gutmütige Leute, sie haben nie Probleme gemacht, die Türken haben sich gewundert, dass wir nach ihnen gefragt haben. Vielleicht haben wir der armen Familie jetzt Ärger gemacht, du weißt doch, wie sie sich da anstellen.«
»Noch etwas?«
»Ja, in Turin lebt ein Cousin der Mutter, ein gewisser Amin, anscheinend ein mustergültiger Staatsbürger. Absolut verlässlich, er arbeitet seit Jahren für eine Werbeagentur. Er ist mit einer Italienerin verheiratet, einer Angestellten in einem Modegeschäft. Sie haben zwei Töchter. Die Ältere geht auf die Universität, die Kleine beendet gerade die Schule, und sie gehen jeden Sonntag in die Kirche.«
»In die Kirche?«
»Ja, in die Kirche, das sollte dich nicht wundern, wir sind in Italien.«
»Ja, aber ist dieser Cousin nicht Muslim?«
»Tja, das weiß ich nicht. Ich denke ja, aber er ist mit einer Italienerin verheiratet, kirchliche Trauung, also muss er konvertiert sein, auch wenn in seiner Akte nichts dergleichen vermerkt ist.«
»Finde das heraus. Und finde auch heraus, ob die Bajerai in die Moschee gingen.«
»Welche Moschee?«
»Stimmt, wir sind ja in Italien. Jedenfalls muss irgendwer wissen, ob sie gute Muslime waren. Hast du Einblick in ihre Konten gehabt?«
»Ja, nichts Besonderes. Der Cousin verdient ein annehmbares Gehalt, seine Frau auch. Es reicht für ein schönes Leben, auch wenn sie noch die Raten für die Wohnung abzahlen. Es gab keinen auffälligen Geldeingang. Sie sind eine sehr eng verbundene Familie, und sie besuchen die Inhaftierten häufig und brin gen ihnen Essen, Süßigkeiten, Tabak, Bücher, Kleidung, kurzum, sie versuchen, ihnen das Leben im Gefängnis angenehmer zu machen.«
»Ja, ich weiß. Ich habe hier eine Kopie der Besucherliste. Dieser Amin war diesen Monat zweimal da, obwohl er normalerweise nur einmal im Monat kommt.«
»Gut, aber es ist ja nichts Verdächtiges, wenn er einmal öfter da war.«
»Wir müssen alles untersuchen, auch wenn es noch so unbedeutend scheint.«
»Schon gut. Schon gut. Aber wir sollten uns nicht verzetteln, Marco.«
»Weißt du, was mir komisch vorkommt? Dass er in die Kirche geht und kirchlich geheiratet hat. Ein Muslim legt nicht einfach so seine Religion ab.«
»Willst du jetzt auch alle Italiener untersuchen, die mit der Kirche nichts am Hut haben? Ich habe da eine Freundin, die ist zum Judentum übergetreten, weil sie sich während eines Sommers im Kibbuz in einen Israeli verliebt hat. Die
Weitere Kostenlose Bücher