Die stumme Bruderschaft
Besuch. Aber Sie haben auch keinen Termin, oder irre ich mich?«
»Nein, Sie irren sich nicht, aber ich weiß, dass Pater Yves sich freuen würde, mich zu sehen«, schleuderte Ana ihr entgegen. Sie war sich bewusst, dass sie unverschämt war, aber sie konnte die Selbstzufriedenheit dieser Sekretärin nicht ertragen.
Heute war einfach nicht ihr Glückstag. Sie hatte Sofia schon wieder nicht erreicht. Sie beschloss, in der Nähe der Kathedrale zu bleiben und auf Yves de Charny zu warten.
Bakkalbasi erhielt den Bericht eines seiner Männer: Mendibj wanderte immer noch ziellos durch die Stadt, es war unmöglich ihn zu töten. Überall waren Carabinieri, und wenn sie ihn weiter verfolgten, würden sie entdeckt.
Der Hirte wusste nicht, was für eine Anweisung er geben sollte. Wenn die Sache schief ging, könnte das den Fall der Gemeinschaft zur Folge haben. Jetzt musste der Onkel von Mendibjs Vater ran. Vor ein paar Tagen hatte man ihm alle Zähne gezogen, die Zunge entfernt und seine Fingerspitzen verätzt. Der Arzt hatte den alten Mann betäubt, damit er nicht so leiden musste. Er opferte sich genauso auf wie einst Marcius, Abgarus’ Architekt.
Mendibj fühlte sich überwacht. Er glaubte, jemanden aus Urfa erkannt zu haben: War er da, um ihm zu helfen oder um ihn zu töten? Er kannte Addaio und wusste, dass er niemals zulassen würde, dass die Gemeinschaft durch ihn aufflog. Am Abend würde er in die Herberge zurückkehren und nach Möglichkeit versuchen, sich von dort unbemerkt zum Friedhof durchzuschlagen. Er würde über den Zaun klettern und zu dem Grab gehen. Er erinnerte sich noch genau an die Stelle, und er wusste auch, wo der Schlüssel war. Er würde durch den unterirdischen Gang bis zu Turgut gehen und ihn bitten, ihn zu retten. Wenn er es bis dorthin schaffte, konnte Addaio seine Flucht organisieren. Es machte ihm nichts aus, zwei oder drei Monate unter der Erde auszuharren, bis die Carabinieri es aufgegeben hätten, nach ihm zu suchen. Er wollte sein Leben retten.
Er ging zum Markt bei der Porta Palazzo, um sich etwas zu essen zu kaufen und zu versuchen, zwischen den Ständen abzutauchen. Auf dem Markt war es für seine Verfolger schwieriger, sich zu tarnen, und wenn er ihre Gesichter sehen könnte, würde es ihm später leichter fallen, ihnen zu entkommen.
Sie hatten ihn in seiner Unterkunft abgeholt. Bakkalbasi übergab ihm das Messer. Der Alte nahm es, ohne zu zögern. Er würde den Sohn seines Neffen töten. Das tat er lieber selbst, bevor er durch andere entweiht wurde. Das Handy des Hirten piepste, eine neue Nachricht: Mendibj war unterwegs Richtung Piazza della Repubblica.
Bakkalbasi sagte dem Chauffeur, er solle dorthin fahren. Er umarmte den Alten und verabschiedete sich. Er betete, dass die Mission erfolgreich sein möge.
Mendibj sah den Onkel seines Vaters, der wie ferngesteuert auf ihn zukam. Sein ängstlicher Blick irritierte ihn. Es war nicht der Blick eines ehrwürdigen Greises, sondern eines verzweifelten Mannes. Was hatte das zu bedeuten?
Ihre Blicke trafen sich. Mendibj wusste nicht, was er tun sollte – fliehen oder sich ihm unauffällig nähern, um zu sehen, ob er ihm einen Zettel übergab oder ihm eine Botschaft zuflüsterte? Er entschied sich, seinem Verwandten zu vertrauen. Sicher hatte die Angst im Blick des Alten mit Addaio, mit den Carabinieri, zu tun.
Ihre Körper berührten sich und Mendibj spürte einen stechenden Schmerz in der Seite. Dann sah er, wie der Alte vor ihm niederfiel, mit einem Messer im Rücken. Die Leute um ihn herum liefen schreiend davon und Mendibj tat in seiner Panik dasselbe. Jemand hatte den Onkel seines Vaters getötet, aber wer, und warum?
Der Killer rannte zusammen mit den Leuten davon. Es war schief gegangen. Anstelle des Stummen hatte er einen alten Mann niedergestochen, der ebenfalls ein Messer in der Hand hatte. Er hatte es satt, er würde es nicht noch einmal versuchen. Der Mann, mit dem er den Vertrag geschlossen hatte, hatte ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt, und wenn er nicht wusste, worum genau es ging, konnte er nicht arbeiten. Für ihn war der Vertrag nichtig. Den Vorschuss würde er nicht zurückgeben, dafür hatte er zu viele Probleme mit diesem Fall gehabt.
Marco kam zu dem sterbenden Alten, gefolgt von seinen Männern. Mendibj konnte sie von weitem sehen, ebenso die beiden Typen. Jetzt waren die Polizisten enttarnt, und das würde es ihm leichter machen.
»Ist er tot?«, fragte Pietro.
Marco suchte vergeblich nach
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