Die stumme Bruderschaft
verdutztem Blick zu einem der Telefone an der Rezeption.
»Ich bin Dottoressa Galloni – da ist ein Anruf für mich?«
»Ah, Dottoressa, zum Glück! Signor D’Alaqua hat darauf bestanden, dass wir Sie unbedingt ausfindig machen. Einen Moment.«
Umberto D’Alaquas Stimme klang anders als sonst, irgendwie angespannt, was Sofia überraschte.
»Sofia …«
»Ja, ich bin’s. Wie geht es Ihnen?«
»Ich möchte Sie treffen.«
»Gerne, aber …«
»Nichts aber, mein Auto wird Sie in zehn Minuten abholen.«
»Bedaure, aber ich muss arbeiten. Im Moment geht es wirklich nicht. Ist etwas?«
»Ja, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Sie wissen, meine große Leidenschaft ist die Archäologie, und ich fliege nach Syrien. Ich habe dort die Genehmigung für eine Ausgrabung, und man hat ein paar Stücke gefunden, die Sie für mich begutachten sollen. Unterwegs würde ich gerne mit Ihnen sprechen, ich habe einen Job für Sie.«
»Ich danke Ihnen, aber jetzt kann ich unmöglich, bedaure.«
»Sofia, manche Chancen bekommt man nur einmal im Leben.«
»Ich weiß, aber es gibt Verantwortlichkeiten, denen kann man sich nicht einfach entziehen. Ich kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen, wenn Sie vielleicht zwei oder drei Tage warten könnten …«
»Nein, ich glaube nicht, dass ich so lange warten kann.«
»Ist das mit Syrien so dringend, dass Sie unbedingt heute losmüssen?«
»Ja.«
»Schade, vielleicht kann ich in ein paar Tagen nachkommen.«
»Nein. Ich bitte Sie, jetzt mit mir zu kommen.«
Sofia zögerte. Der Vorschlag von Umberto D’Alaqua verwirrte sie, vor allem, weil er sie so bedrängte.
»Was ist los? Sagen Sie es mir …«
»Das tue ich doch gerade.«
»Es tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen, die anderen warten.«
»Viel Glück.«
»Danke.«
Sie war durcheinander. Was sollte dieses Gespräch? Warum hatte D’Alaqua am Ende so niedergeschlagen geklungen? Warum hatte er ihr Glück gewünscht? Wusste er vielleicht von der Operation Trojanisches Pferd?
Wenn das mit dem Stummen vorbei war, würde sie ihn anrufen. Sie wollte wissen, was hinter diesem Anruf und dem Vorschlag mit Syrien steckte.
»Was wollte D’Alaqua?«, fragte Minerva auf dem Weg zum Hauptquartier.
»Ich soll mit ihm nach Syrien fliegen.«
»Nach Syrien? Warum gerade da hin?«
»Weil er dort die Genehmigung für eine Ausgrabung hat.«
»Er lädt dich also zu einem romantischen kleinen Ausflug ein.«
»Zu einem Ausflug ja, aber romantisch wohl kaum. Er klang besorgt.«
Als sie beim Hauptquartier ankamen, hatte Marco schon zweimal angerufen. Er war schlecht gelaunt. Der Sender, den man bei dem Stummen angebracht hatte, funktionierte nicht. Er sandte Signale aus, aber er gab nicht an, in welche Richtung der Stumme sich bewegte. Entweder hatte er ihn entdeckt, oder er war defekt. Bald darauf stellten sie fest, dass er andere Turnschuhe trug. Sie waren verschlissen. Und die Jeans und die Jacke waren schmutzig. Jemand hatte bei dem Tausch ein gutes Geschäft gemacht.
Der Stumme spazierte mittlerweile durch den Carrara-Park. Die beiden Typen vom Vortag waren nicht wieder aufgetaucht, jedenfalls bis jetzt nicht.
Der Stumme hatte ein Stück Brot dabei und fütterte die Vögel. Er ging an einem Mann vorbei, der zwei kleine Mädchen an der Hand hielt. Marco hatte den Eindruck, der Mann habe den Stummen kurz angeschaut und sei dann schnell weitergegangen.
Der Killer kam zu demselben Schluss wie Marco: Der Mann musste eine Kontaktperson sein. Er folgte ihm, konnte aber nicht in Aktion treten. Es war unmöglich, der wurde von einem Dutzend Carabinieri geschützt. Er würde ihm noch zwei Tage folgen, und wenn sich bis dahin nichts geändert hatte, würde er von dem Vertrag zurücktreten. Er würde seine Existenz nicht dafür aufs Spiel setzen. Seine beste Eigenschaft neben seiner Treffsicherheit war seine Vorsicht. Er machte nie einen unbedachten Schritt.
Weder Marco und seine Männer noch die beiden Typen noch der Killer merkten, dass sie ihrerseits von anderen Männern beobachtet wurden.
Arslan rief seinen Cousin an. Ja, er hatte Mendibj im Carrara-Park gesehen. Aber er hatte ihm keinen Zettel zugespielt, nichts. Anscheinend hatte er sie nur wissen lassen wollen, dass er frei war.
Ana Jiménez sagte dem Taxifahrer, er möge sie zur Kathedrale von Turin bringen. Dort ging sie direkt zu den Büros und fragte nach Pater Yves.
»Er ist nicht da«, sagte die Sekretärin. »Er begleitet den Kardinal bei einem
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