Die stumme Bruderschaft
Edessa mehr trübt. Wenn Senin überlebt, wird er uns berichten, was in Edessa vor sich geht. In jedem Fall muss ich ein Versprechen erfüllen, das ich Thaddäus, Josar und der Königin gegeben habe. Als sie mir vor Monaten Botschaften sendeten, was nach Abgarus’ Tod zu erwarten sei, baten sie mich, dafür zu sorgen, dass die Saat Christi niemals aus Edessa verschwindet, und wenn das Schlimmste geschähe, sollte ich nach einer Weile Christen nach Edessa schicken.«
»Aber das heißt doch, sie in den Tod zu schicken.«
»Die, die dorthin gehen, werden ihren Glauben nicht kundtun. Sie werden sich im Reich einrichten, arbeiten, die verbliebenen Christen suchen und mit ihnen im Geheimen eine Gemeinde aufbauen. Es geht nicht darum, Maanus Zorn zu erregen oder eine Verfolgung auszulösen, sondern die Saat Jesu in Edessa am Leben zu erhalten. Jesus selbst hat das so gewollt, indem er dafür gesorgt hat, dass Josar sein Grabtuch zu Abgarus bringt. Er hat diesen Boden mit seiner Anwesenheit und seinen Wundern geheiligt, und wir müssen seinen Wünschen nachkommen.
Wir warten ab, bis Harran mit seiner Karawane zurückkehrt, und dann beschließen wir, was zu tun ist und wann. Aber du musst wissen, dass das Grabtuch und der Glaube an Jesus niemals aus der Stadt verschwinden dürfen.«
Von fern bewegte sich Obodas’ beeindruckende Gestalt auf sie zu. Er war verärgert., »Izaz, Timäus, ihr flüchtet vor mir, und ich habe geschworen, Izaz mit meinem Leben zu schützen. Wenn ihm etwas passiert, bin ich dafür verantwortlich, und das könnte ich mir nie verzeihen.«
»Wir hatten etwas zu bereden, Obodas«, sagte Izaz.
»Izaz, ich werde dich nicht belästigen, wenn du unter vier Augen mit Timäus oder irgendjemand anderem reden willst. Aber ich will in deiner Nähe sein, du darfst dich nicht einfach aus dem Staub machen.«
Izaz versprach es ihm. Mit der Zeit würde er Obodas mehr als jedem anderen Menschen vertrauen.
20
Addaio saß hinter einem riesigen mit Schnitzereien verzierten Tisch. Der Armsessel ließ seine mächtige Gestalt noch größer wirken.
Er hatte kein einziges Haar mehr, und die Falten um seine Augen und Lippen ließen keinen Zweifel an dem Alter des Mannes, ebenso wenig die knochigen Hände mit den durchscheinenden Venen.
In dem Zimmer gab es zwei Fenster, aber die dicken Vorhänge ließen nicht einen Sonnenstrahl hinein, alles war abgedunkelt.
Auf beiden Seiten des riesigen Tisches standen vier Stühle mit hohen Lehnen, und auf ihnen saßen acht schwarz gekleidete Männer mit gesenkten Blicken.
Ein kleiner schlanker Mann in bescheidener Kleidung hatte ihnen die Tür geöffnet, um sie zu Addaios Büro zu führen.
Zafarin zitterte. Nur die Anwesenheit seines Vaters hinderte ihn daran davonzulaufen. Seine Mutter hatte ihn am Arm gefasst, und seine Frau Ayat und seine kleine Tochter liefen neben ihm, ohne ein Wort zu sagen. Sie waren genau so verängstigt wie er.
Der kleine Mann schob die Frauen in ein Zimmer.
»Wartet hier«, sagte er, und dann geleitete er mit eiligen Schritten die Männer bis zu einer reich verzierten Holztür. Er öffnete einen Flügel und ließ Zafarin und seinen Vater hinein.
»Du hast versagt.«
Addaios Stimme dröhnte durch den Raum mit den Holzwänden voller Bücher. Zafarin senkte den Kopf, der Schmerz war ihm anzumerken. Sein Vater trat einen Schritt vor und sah Addaio fest in die Augen.
»Ich habe dir zwei Söhne gegeben. Beide waren tapfer, beide haben sie sich geopfert und ihre Zunge hergegeben. Sie werden stumm sein, bis Gott unser Herr sie am Tag des Jüngsten Gerichts auferstehen lässt. Unsere Familie hat deinen Tadel nicht verdient. Seit Jahrhunderten haben die Besten von uns ihr Leben Jesus dem Erlöser gewidmet. Wir sind Menschen, Addaio, nur Menschen, und deswegen scheitern wir. Mein Sohn glaubt, dass es einen Verräter unter uns gibt, jemand, der weiß, wann wir nach Turin gehen und was du vorhast.
Zafarin ist intelligent, das weißt du. Du selbst hast dich dafür eingesetzt, dass er wie Mendibj auf die Universität geht. Der Fehler liegt hier, Addaio, du solltest den Verräter unter uns ausmachen. Verrat hat es in unserer Gemeinschaft immer gegeben, nur so lässt sich erklären, warum alle Versuche, zurückzuholen, was uns gehört, fehlgeschlagen sind.«
Addaio hörte sich alles an, ohne eine Miene zu verziehen. Sein Blick funkelte vor Zorn, den er nur mit Mühe zurückhalten konnte. Zafarins Vater ging auf den Tisch zu und übergab ihm mehr
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