Die stumme Bruderschaft
freuen, wenn Sie mit uns kämen, aber wenn Sie lieber in Ihr Hotel zurück möchten, wird Sie derselbe Wagen fahren, der Sie hergebracht hat.«
»Danke, ich gehe lieber zu Fuß, das Hotel ist ja nicht weit.«
»Verzeihen Sie, Dottoressa«, unterbrach sie der Kardinal, »aber es scheint mir sehr leichtfertig, dass Sie allein gehen wollen. Turin ist keine ganz ungefährliche Stadt, ich wäre beruhigter, wenn Sie sich fahren ließen.«
Sofia wollte nicht halsstarrig oder hochmütig erscheinen.
»Einverstanden, ich danke Ihnen.«
»Sie brauchen mir nicht zu danken. Sie sind eine beeindruckende, selbstständige Person, geben Sie auf sich Acht. Ich glaube, Ihre Schönheit war heute Abend für Sie eher ein Hindernis als ein Vorteil, Sie haben kein Kapital daraus gezogen.«
Die Worte des Kardinals trösteten Sofia. D’Alaqua begleitete sie bis zum Wagen.
»Dottoressa, ich freue mich, dass Sie gekommen sind.«
»Danke.«
»Werden Sie noch ein paar Tage in Turin bleiben?«
»Ja, es ist gut möglich, dass ich noch zwei Wochen bleibe.«
»Ich werde Sie anrufen, und wenn Sie Zeit haben, würde ich gerne mit Ihnen essen gehen.«
Sofia wusste nicht, was sie sagen sollte, und hauchte ein leises »Ja«, während D’Alaqua die Tür zuschlug und den Chauffeur anwies, sie zurück ins Hotel zu fahren.
Kardinal Visier nahm Guido Bonomi ins Gebet.
»Professor Bonomi, Sie haben sich der Dottoressa und uns gegenüber respektlos verhalten. Ihr Engagement für die Kirche in allen Ehren, wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihren Einsatz für unsere Kunstschätze, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, sich wie ein Bauernflegel zu benehmen.«
D’Alaqua sah ihn erstaunt an.
»Paul, ich hätte nicht gedacht, dass die Dottoressa dich so beeindruckt hat.«
»Ich fand Bonomis Verhalten entwürdigend, er hat sich benommen wie ein Grobian und die Dottoressa verärgert. Manchmal frage ich mich, warum Bonomis künstlerisches Talent sich nicht auch in anderen Lebensbereichen äußert. Sofia Galloni ist eine integre, intelligente, gebildete Person, eine Frau, in die ich mich verlieben würde, wenn ich nicht Kardinal wäre, wenn … ich nicht wäre, was ich bin.«
»Ich bin überrascht von deiner Aufrichtigkeit.«
»Ach, Umberto, du weißt wie ich, dass das Zölibat eine ebenso harte wie notwendige Entscheidung ist. Gott weiß, dass ich mich immer an das Gelübde gehalten habe, aber das heißt, nicht, dass ich eine intelligente, schöne Frau nicht zu schätzen wüsste. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich das Gegenteil behauptete. Wir haben Augen, wir sehen, und genauso wie wir eine Statue von Bernini bewundern, wie uns die Marmorarbeiten von Phidias oder die Härte des Steins eines etruskischen Grabes bewegen, können wir den Wert eines Menschen schätzen. Warum sollen wir unsere Intelligenz beleidigen, indem wir so tun, als ob wir die Schönheit und den Wert der Dottoressa Galloni nicht sähen. Ich hoffe, du wirst etwas tun, um sie aufzuheitern.«
»Ja, ich werde sie anrufen, um sie zum Mittagessen einzuladen. Mehr kann ich nicht tun.«
»Ich weiß. Mehr können wir nicht tun.«
»Sofia …«
Ana Jiménez ging gerade ins Hotel, als Sofia aus dem Auto stieg.
»Donnerwetter, sehen Sie gut aus! Kommen Sie von einem Fest?«
»Ich komme von einem Alptraum, und wie geht es Ihnen?«
»Es geht so, die Sache ist schwieriger, als ich dachte, aber ich gebe nicht auf.«
»Das ist gut.«
»Haben Sie schon zu Abend gegessen?«
»Nein, aber ich werde Marco auf seinem Zimmer anrufen. Wenn er noch nicht gegessen hat, sage ich ihm, er soll ins Hotelrestaurant kommen.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich zu Ihnen geselle?«
»Mir nicht, bei meinem Chef weiß ich das nicht, warten Sie einen Moment, ich sage es Ihnen gleich.«
Sofia kam mit einer Botschaft in der Hand von der Rezeption.
»Er ist mit Giuseppe beim Kommandanten der Carabinieri von Turin zum Abendessen.«
»Dann essen wir eben allein. Ich lade Sie ein.«
»Nein, ich lade Sie ein.«
Sie bestellten zum Essen eine Flasche Barolo und beäugten sich ein wenig misstrauisch.
»Sofia, da ist eine ziemlich verworrene Episode in der Geschichte des Grabtuchs.«
»Nur eine? Ich würde sagen, alle. Sein Auftauchen in Edessa, sein Verschwinden in Konstantinopel …«
»Ich habe gelesen, dass es in Edessa eine sehr tief verwurzelte Christengemeinde mit großem Einfluss gab, so groß, dass der Emir von Edessa sich den Truppen von Byzanz stellen musste, weil sie das Grabtuch
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