Die Stunde der Gladiatoren
der Advocatus seines Weges. An den Verhältnissen, so sein Fazit, schien sich bis heute wenig geändert zu haben. Kaiserinnen, die dem Laster frönten, hatte es zwar immer schon gegeben, darunter Poppaea, Neros Frau, oder eine Dirne namens Messalina. Im Licht seiner Ermittlungen drängte sich jedoch die Frage auf, ob das, was er in Erfahrung gebracht hatte, nur ein Einzelfall war. Der Fisch stank bekanntlich vom Kopf, und er fragte sich, wie lang es dauern würde, bis der Geruch unerträglich wurde. Vieles, stellte Varro resigniert fest, lag derzeit im Argen, wobei die Zustände, die am Hof herrschten, nur ein Ãbel unter vielen waren. Angefangen bei den Barbaren, deren Raubzüge immer mehr überhandnahmen, waren es vor allem die Steuern, die auf der Bevölkerung des Imperiums lasteten. Niemand blickte mehr zu den Kaisern auf, niemand verspürte mehr Lust, in der Armee zu dienen, und kein Mensch drängte sich danach, ein öffentliches Amt zu bekleiden, was früher, zu Beginn der Kaiserzeit, zugleich Ehre und Ansporn gewesen war. Varro schüttelte resigniert den Kopf. âºEhreâ¹Â â noch so ein Wort, das immer mehr aus der Mode kam. Früher, zu Zeiten eines Trajan, war es noch eine Ehre gewesen, für das Vaterland zu kämpfen, heute, im elften Saeculum nach der Gründung Roms, tat man alles, um sich davor zu drücken. Die Folge war, dass immer mehr Barbaren in römische Dienste traten, gute Kämpfer zwar, aber eben keine Römer. Der Mangel an Römern â genau das war Varros Ansicht nach das Problem. Es gab Gallier, Illyrer, Daker, Thraker und Dalmaten, des Weiteren Araber, Asiaten und Afrikaner â aber es gab keine echten Römer mehr. Das hörte sich gewiss merkwürdig an, traf aber den Nagel auf den Kopf. Rom selbst, dereinst Mittelpunkt des Imperiums, war immer mehr in den Hintergrund getreten. Andere Städte, unter ihnen Treveris, gaben jetzt den Ton an, Städte, welche dabei waren, der Kapitale den Rang abzulaufen.
Dies war eine Zeit der Veränderungen, und bald, allzu bald vielleicht, würde nichts mehr so sein, wie es war. Varros Miene verdüsterte sich. Manchmal kam er sich wie ein Fossil vor, insbesondere, weil er die alten Werte hochhielt. Treue, Tapferkeit und Pflichtgefühl waren es, die das Vaterland dereinst groà gemacht hatten. Und das war es, worauf man sich wieder besinnen musste. Sonst würde Rom, Gebieterin des Erdkreises, von der Landkarte verschwinden.
Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchte sich Varro wieder auf seinen Fall zu konzentrieren. Eine Kaiserin mit einer Vorliebe für Gladiatoren, ein Lanista, der sich zu ihrem Werkzeug macht und darauf hofft, das Geschäft seines Lebens zu machen, ein Unbekannter, der Letzteren als Lockvogel benutzt und, allen voran, die Gier nach Profit â wenn das nicht dekadent war, würde er den Namen wechseln. Der Advocatus musste wider Willen lächeln. Nein, das würde er natürlich nicht, bevor das geschah, würde die Welt untergehen.
»Machâs gut, alter Junge â bis morgen.«
»Du auch, Probus«, rief Varro seinem Freund hinterher, der die Hand hob, sich nach links wandte und mit weit ausholenden Schritten gen Westen strebte. »Bis morgen! Und trink nicht mehr so viel!«
Gelächter, als ob er einen Witz gerissen hätte, Schritte, die auf dem Gehsteig des menschenleeren Decumanus widerhallten, Flötenklänge aus der nahen Taverne â und schon hatte die Nacht, welche über Treveris niedersank, den Freund verschluckt.
Im Moment ratlos, sah sich Varro um. Und atmete erleichtert auf. Es war gut, Syphax bei sich zu wissen, vor allem jetzt, da sich der Tag dem Ende zuneigte. Lichtscheues Gesindel gab es zuhauf, und was Varro betraf, war sein Bedarf an Schwierigkeiten gedeckt.
Und so zögerte er keinen Moment, sondern wies Syphax an, ihm voranzuleuchten, und setzte den Weg zu seinem Domizil fort. Auch der Cardo, der zum Nordtor führte, war wie leergefegt, und so kam es, dass er sich seinen Gedanken überlieÃ. In weniger als einer Viertelstunde würde er seine Villa betreten, und er fragte sich, was ihn dort erwartete. Halt, falsch: Er fragte sich, wer ihn dort erwartete. Allein der Gedanke, Aspasia könne sich auf den Heimweg gemacht haben, lieà seine Laune auf den Tiefpunkt sinken, der Grund, weshalb er Syphax zur Eile antrieb.
Eile war denn auch dringend geboten. Aber davon wusste
Weitere Kostenlose Bücher