Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
die am Kragen offen stand. Abgetragene Bürokleidung. Eine echte Erwerbstätige. Die dunklen Haare trug sie zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden.
»Detective Hardin.« Es gelang mir nicht, erfreut über unser Wiedersehen zu klingen. »Hi.«
»Auch mir ist es ein Vergnügen, Sie zu sehen«, sagte sie trocken. »Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie wieder in der Stadt sind?«
»Ich habe versucht, kein Aufsehen zu erregen.«
»Das ist Ihnen nicht sonderlich gut gelungen.«
»Was Sie nicht sagen«, murmelte ich kaum hörbar. »Sind Sie bei Ihren Räubern schon fündig geworden?«
»Noch nicht. Das musste ich erst einmal beiseitelegen. Es gibt da einen neuen Fall. Ich möchte, dass Sie sich etwas ansehen.« Sie zog einen Aktenkoffer vom Stuhl.
»Es sind keine Autopsiefotos, oder? Denn dafür bin ich nicht wirklich in der Stimmung.«
Ich hatte es als Witz gemeint. Bei unseren letzten Treffen hatte Hardin mich immer wieder gebeten, mir Leichen anzusehen und ihr zu sagen, ob ein Werwolf ihre Leiber aufgerissen und sie zerfleischt hatte.
Doch ihre Miene änderte sich nicht. Sie blickte finster drein, erwartungsvoll und ungeduldig. »Fotos vom Tatort. Mord.«
Verdammt.
»Gibt es einen Ort, an dem wir unter vier Augen miteinander sprechen können?«, sprach sie weiter.
»Muss ich denn?« Beinahe winselte ich.
Wenigstens war ihr Lächeln mitfühlend. »Sie haben dann was bei mir gut. Unterschätzen Sie niemals die Macht eines Cops, der Ihnen einen Gefallen schuldet.«
Schön. Was auch immer. »Der Konferenzraum oben.«
Ich ging voraus und sah sie immer wieder verstohlen über die Schulter hinweg an. Ihr musternder Blick ließ meinen ganzen Rücken kribbeln. Ich ging so schnell wie möglich, und sie machte sich gleich an die Arbeit, indem sie eine Handvoll Fotos im Format dreizehn mal achtzehn Zentimeter aus dem Koffer zog und auf dem Tisch ausbreitete. Zehn Stück in einer Reihe.
Jedes Einzelne zeigte ein Gesicht. Manche Leute waren lediglich voller Blutspritzer, manche blutüberströmt, sodass die Haare an der Haut klebten. Manche hatten Wunden an Wangen und Hälsen - Spuren von Krallen. Zwei wiesen zerfranste Wunden auf, das Fleisch war leicht eingerissen und hing lose herab. Bissspuren. Alle hatten die Augen geschlossen. Mein Magen verkrampfte sich.
»Jemand hat gegen drei Uhr früh von einem Lagerhaus südlich der Downtown 911 angerufen«, erklärte Detective Hardin. »Das haben wir bei unserem Eintreffen vorgefunden. Den Notruf konnten wir bis zu einem Handy zurückverfolgen, das in dem Gebäude am Boden lag. Vielleicht hat es einem der Opfer gehört. Wir konnten keine Fingerabdrücke daran entdecken. Alle Opfer befanden sich im Innern. An allen waren Kampfspuren auszumachen, als hätte es Handgreiflichkeiten gegeben. Ein richtig heftiger Kampf - keine Waffen, alles mit bloßen Händen. Oder mit bloßen Krallen und Reißzähnen. Bei allen zehn
Opfern konnte durch Tests nachgewiesen werden, dass es sich um Lykanthropen handelte. Kennen Sie jemanden dieser Leute? Können Sie sie identifizieren?«
Es waren Ricks Lykanthropen. Trotz des Blutes erkannte ich sie wieder. Jetzt blickte mir nichts von dem selbstbewussten Rudel entgegen, das er um sich gesammelt hatte. Ich berührte die Bilder und rückte sie zurecht.
»Außerdem haben wir an drei Stellen etwas gefunden, wobei es sich um menschliche Überreste handeln könnte, aber da ist nicht viel. Etwas Asche. Meiner Meinung nach könnten es Vampire gewesen sein. Es ist unmöglich, sie zu identifizieren.«
Nur sieben gehörten zu Rick. Zwei weitere waren Wölfe aus Carls Rudel. Harte Kerle, die sich nicht zu kämpfen scheuten. Beide waren seit über zehn Jahren Wölfe gewesen. Einer arbeitete als Rausschmeißer in Denver. Jetzt waren sie tot.
Auf dem zehnten Foto war Jenny zu sehen. Man hatte ihr die Kehle herausgerissen. Ihr Hals war nicht zu erkennen, er war ein einziges blutiges Durcheinander. Sie trug das Hemd, das sie gestern angehabt hatte. Wirres blondes Haar bildete einen blutigen Rahmen um sie. Ihr Gesicht war nur leicht mit Blut bespritzt und wirkte geradezu widersinnig entspannt, beinahe friedlich. Sie hatte einen anderen Weg gefunden, um zu entkommen.
»Sie kennen sie«, sagte Hardin.
Ich hatte Jennys Foto in die Hand genommen und konnte den Blick einfach nicht davon abwenden. Mir war nicht bewusst, was sich auf meinem Gesicht abspielte, was Hardin auf ihm sah. Ich wusste nur, dass ich nicht
sprechen konnte. Meine Kehle war wie
Weitere Kostenlose Bücher