Die Stunde Der Jaeger
seinem Anblick fühlte ich mich nervös und mütterlich; ich wollte ihn gleichzeitig fester zudecken, ihm den Kopf tätscheln, ihm ein Glas Wasser bringen und ihm etwas zu essen geben. Ich wollte, dass er sich entspannte. Ich wollte alles besser machen, hatte aber nicht die leiseste Ahnung, wie ich das tun sollte. Also hockte ich unschlüssig neben ihm, kurz davor, verzweifelt die Hände zu ringen.
Dann fragte er mit ausdrucksloser Stimme: »Wieso hat Cormac mich hierher gebracht?«
»Er war der Meinung, ich könnte helfen.«
»Warum hat er mich nicht einfach abgeknallt?«
Soweit ich wusste, befanden sich Cormacs Waffen immer
noch unter dem Bett. Diesem Bett. Ben brauchte das allerdings nicht zu wissen. Was, wenn Cormac sich irrte, was, wenn Ben doch den Mumm hatte, sich zu erschieÃen? Was würde ich tun müssen, um ihn davon abzuhalten? Ich konnte nicht zulassen, dass Ben starb. Ich würde nicht zulassen, dass er â oder Cormac â aufgab.
Ich sprach leise, steif vor Niedergeschlagenheit. »Das musst du ihn schon selber fragen.«
»Wo ist er?«
»Ich weià es nicht. Er ist nach drauÃen gegangen.«
Endlich richtete er den Blick wieder auf mich. In seinen Augen war ein Schimmer des alten Ben zu sehen. »Wie lange bin ich bewusstlos gewesen?«
»Zwei Tage.«
»Und ihr beiden habt die ganze Zeit hier festgesessen?« Er verzog nachdenklich das Gesicht. »Wie läuft es so?«
»Er hat mich noch nicht umgebracht.«
»Er wird dich nicht umbringen, Kitty. Ganz im Gegenteil, meiner Meinung nach würde er dich viel lieber â¦Â«
Ich erhob mich jäh. »Hast du Hunger? Natürlich hast du Hunger, du hast ja seit zwei Tagen nichts gegessen.«
Da erklangen stampfende Schritte auf der Veranda. Ben sah zur gleichen Zeit wie ich in Richtung des Nebenzimmers. Mit der Hand hielt er die Decke fest umklammert. Langsam ging ich ins Vorderzimmer.
Die Tür wurde aufgerissen, und Cormac stand vor uns. Er trug ein Gewehr.
»Du hast doch eine Kühltruhe, oder?«, wollte er wissen.
»Hä?« Ich blinzelte und versuchte, mir seine Frage zu erklären. Es gelang mir nicht. »Ja, klar. Warum?«
Er wies mit dem Daumen über die Schulter ins Freie. Ich ging zur Tür und sah hinaus. Mitten auf der Lichtung vor der Hütte lag ein totes Reh. Einfach hingeworfen, mit steifen Beinen und zurückgebogenem Hals. Kein Geweih. Blut war nicht zu sehen, doch ich konnte es riechen. Es war noch nicht ganz erkaltet. Frisch erlegt. Mein Magen knurrte, doch das verdrängte ich wild entschlossen.
»Ein Reh«, sagte ich dümmlich.
»Ich muss es noch zerlegen und das Fleisch aufhängen. Ist in der Kühltruhe noch Platz?«
»Du hast es getötet?«
Er starrte mich entnervt an. »Ja.«
»Ist überhaupt Jagdzeit?«
»Meinst du, das kümmert mich?«
»Du hast ein Reh erschossen und es einfach ⦠hierhergeschleppt? Es getragen? Warum?«
»Ich musste etwas erschieÃen.«
Ich starrte ihn an. Das klang nach mir. Genauer gesagt klang es nach mir einmal im Monat in der Vollmondnacht. »Du musstest etwas erschieÃen.«
»Ja.« Das Wort klang wie eine Herausforderung.
Wer von uns beiden war nun also das Monster? Wenigstens hatte ich eine Entschuldigung für meine Blutgier.
»Ben ist wach«, sagte ich. »Wach und klar im Kopf, meine ich.«
Ja, Ben stand sogar im Türrahmen, eine Decke um die Schultern gewickelt. Seine Haare waren zerzaust, sein Unterkiefer war von Bartstoppeln übersät, und er wirkte völlig erledigt, doch es sah nicht so aus, als würde er im nächsten Moment umkippen. Er und Cormac sahen
einander einen Augenblick lang an, und die Anspannung in dem Zimmer war greifbar. Es lieà sich nicht sagen, was zwischen den beiden ablief. Am liebsten hätte ich das Weite gesucht. Ich stellte mir vor, wie ich bei meiner eigenen Radiosendung anrief: Ja, hi, ich bin ein Werwolf, und ich sitze mit einem anderen Werwolf und einem Werwolfjäger in einer Hütte im Wald fest â¦
»Hey«, sagte Cormac schlieÃlich. »Wie fühlst du dich?«
»Ich weià es nicht«, sagte Ben. »Wozu die Waffe?«
»Bin jagen gewesen.«
»Erfolgreich?«
»Ja.«
In meiner Stimme schwang aufgesetzte Fröhlichkeit mit. »Vielleicht könntest du uns gleich einmal zwei Steaks abschneiden, damit wir zu Abend essen
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