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Die Stunde Der Jaeger

Die Stunde Der Jaeger

Titel: Die Stunde Der Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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Cormac in der Zwischenzeit nicht zurückgekehrt war, belegte ich das Sofa. Mich um Ben zu kümmern, hatte mich erschöpft. Ich musste unbedingt schlafen. Vielleicht wollte ich mich den Dingen aber auch einfach nur nicht stellen.
    Ich hoffte inständig, dass Cormac nicht noch ein Reh erschoss. Meine Tiefkühltruhe war dem nicht gewachsen.
    Ich träumte von Blut.
    Ich stand auf einer Lichtung, auf einem felsigen Hügel mitten im Wald. Der Ort war mir vertraut; er befand sich nicht weit von der Hütte. Ich hob das Gesicht, und Blut regnete vom Himmel. Es ergoss sich über mein Gesicht, rann mir über die Wangen, den Hals hinab und verfilzte mir das Fell. Ich war fellbedeckt, konnte aber nicht sagen, ob ich Wolf oder Mensch war. Beides, keines von beidem. Im Wald roch es nach einem Blutbad. An den Baumstämmen um mich herum prangten rote Kruzifixe. Mit Blut hingemalt. Da setzte das Geschrei ein, als schrien die Bäume selbst mich an: Verschwinde, verschwinde, verschwinde. Geh weg. Lauf. Doch sie umzingelten mich, die Bäume setzten sich in Bewegung, um mich aufzuhalten, kreisten mich ein, versperrten mir den Weg. Ich versuchte, sie
ebenfalls anzuschreien, doch meine Stimme erstarb, es regnete weiterhin Blut, und mein Herz hämmerte rasend.
    Es dauerte nur eine Sekunde. Jedenfalls fühlte es sich nur wie eine Sekunde an. Als ich aufwachte, kam es mir vor, als habe ich eben erst die Augen geschlossen. Doch früher Sonnenschein drang in das Zimmer. Es war Morgen, und Cormac kniete vor dem Sofa.
    Â»Norville?«
    Rasch setzte ich mich auf. Ich sah mich nach einer Gefahr um – nach Blut, das aus den Wänden sickerte. Ich erwartete, Schreie zu hören. Mein Herz schlug schnell. Doch Cormac wirkte gelassen. Ich konnte nichts Ungewöhnliches erkennen.
    Â»Wie lange bist du schon da?«, fragte ich ein wenig atemlos.
    Â»Ich bin eben erst gekommen. Ich habe etwas gefunden. Du solltest mitkommen und es dir ansehen.«
    Ich nickte, schlug die Decke zurück und folgte ihm, nachdem ich mir eine Jacke und Turnschuhe angezogen hatte.
    Die Luft draußen war eiskalt. Ich war mir nicht sicher, ob es allein an der Temperatur lag. Nach dem Traum rechnete ich damit, das nächste ausgeweidete Kaninchen auf der Veranda vorzufinden. Ich rechnete mit Kruzifixen an jedem Baum. Die Arme um mich geschlungen, stapfte ich über den Waldboden.
    Cormac blieb etwa fünfzig Schritte von der Hütte entfernt stehen. Er deutete zu Boden, doch ich erkannte erst nach einer Minute, was er mir zeigen wollte: ein weiteres Stacheldrahtkruzifix, im Dreck versunken, als habe es jemand dort fallen lassen.

    Â»Und hier drüben.« Cormac führte mich zehn Schritte weiter, einen Pfad entlang, der parallel zur Hütte verlief.
    An dieser Stelle lag noch ein Kruzifix. Ohne seine Aufforderung ging ich weiter, und nach kurzer Suche fand ich das nächste Kreuz.
    Geradezu panisch drehte ich mich zu Cormac um.
    Er sagte: »Sie bilden einen Kreis um die ganze Hütte herum. «
    Der Stacheldraht war mittlerweile mehr als nur ein Symbol. Die Talismane zäunten mich buchstäblich ein. Sie bildeten eine Barriere der Angst.
    Â»Wer würde so etwas tun?«, sagte ich. »Und – warum?«
    Â»Ich weiß es nicht. Kannst du etwas riechen?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Zumindest roch ich nichts Ungewöhnliches. »Das ist eigenartig. Ich sollte irgendeine Fährte von der Person, die das Zeug hier verteilt hat, wittern können – wer auch immer das sein mag. Aber es ist, als seien die Kruzifixe einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Ist das möglich?«
    Â»Wenn es sich bei diesen Dingern um mehr als bloße Angstmache handeln sollte, ist wohl alles möglich. Ich habe die ganze Nacht Wache geschoben. Ich hätte etwas sehen sollen.«
    Â»Sind sie schon vorher hier gewesen?«
    Â»Ich habe keine gesehen.«
    Ich versetzte dem Boden einen Tritt und stieß mir den Zeh an. Vor Schmerz jaulte ich kurz auf. »Das hier treibt mich noch in den Wahnsinn«, murmelte ich.
    Â»Das soll es wohl auch«, sagte Cormac.

    Â»Pah! Als wäre ich nicht wunderbar in der Lage, mich selbst wahnsinnig zu machen.«
    Â»War es das, was du getan hast, allein hier draußen im Wald? Dich selbst in den Wahnsinn zu treiben?«
    In gewisser Hinsicht sah es tatsächlich so aus. Doch das brauchte ich nicht zuzugeben. Ich begann, die Kruzifixe aufzusammeln, suchte den Kreis

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