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Die Stunde Der Jaeger

Die Stunde Der Jaeger

Titel: Die Stunde Der Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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heran und setzte mich. Auf diese Weise saß ich vor meinem Laptop und sah Ben nicht an. Ich wollte so tun, als arbeitete ich.
    Â»Brokkoli«, sagte ich einen Augenblick später. Er sah mich an. »Ich denke an Brokkoli. Und Bach. Ich denke an Dinge, die so weit wie möglich von der Wölfin entfernt sind. Alles, was mich Mensch bleiben lässt und die Wölfin verscheucht.«
    Â»Funktioniert das denn?«
    Â»Gewöhnlich schon. Manchmal. Du solltest dir das Buch von Cormac geben lassen. Um dich abzulenken.«
    Â»Erzähl mir nicht, dass das das einzige Buch im Haus ist.«
    Ich stieß ein Schnauben aus. »Für was für eine Literaturwissenschaftlerin hältst du mich eigentlich?«
    Ich kramte in den Kisten mit Büchern und CDs, die ich mitgebracht hatte, und versorgte ihn mit einer Ausgabe von Jack London. Was wahrscheinlich nicht die beste Wahl war, aber was soll’s! Der Banause hatte bei Virginia Woolf eine spöttische Bemerkung gemacht. Vielleicht hatte er gedacht, ich versuchte, witzig zu sein.
    Im Laufe des Nachmittags gelang es mir, etwas zu schreiben. Allerdings war ich mir nicht sicher, wie verständlich
es war. Ich hatte nicht die Geduld, es mir noch einmal durchzulesen. Dafür war morgen immer noch Zeit.
    Ich schrieb so lange, dass ich gar nicht bemerkte, wie draußen die Dunkelheit hereinbrach.
    Â»Kitty.« Das Wort klang scharf und schmerzerfüllt.
    Ben klammerte sich an der Armlehne des Sofas fest; der Bezug hatte angefangen, unter seinen Fingern Risse zu bekommen. Seinen Fingern wuchsen Krallen. Er starrte seine Hände an, als seien sie ihm völlig fremd.
    Ich stürzte zu ihm und kniete vor ihm nieder. Ich legte ihm die Hände an die Wangen und drehte sein Gesicht, brachte ihn dazu, nicht mehr dieses Horrorszenario anzusehen, sondern stattdessen mich. Er riss die Augen weit auf. Sie waren voll Entsetzen.
    Mit so etwas wie einem rauen Lachen sagte er: »Es tut echt weh.«
    Â»Ich weiß, ich weiß.« Ich brachte ihn zum Schweigen und strich ihm die Haare, von denen der Schweiß zu tropfen begann, aus dem Gesicht. »Ben, vertraust du mir? Bitte sag, dass du mir vertraust.«
    Er nickte mit zusammengekniffenen Augen. »Ich vertraue dir.«
    Â»Ich werde mich um dich kümmern«, sagte ich. »Ich werde dich nicht im Stich lassen. Okay? Du wirst es schaffen. Du musst das hier nur durchstehen, dann wird alles gut. Wir gehen jetzt nach draußen, okay?«
    Er rutschte vom Sofa und fiel mir in die Arme. Stöhnend presste er das Gesicht an meine Schulter. Einen Augenblick machte ich mir Sorgen, dass er versuchen würde, mich mit diesen Händen zu halten, die sich gerade in
Klauen verwandelten, aber nein, er hatte die Arme dicht an sich gedrückt und beinahe Embryohaltung eingenommen. Tränen quollen mir aus den Augen und brannten auf meinen Wangen. Ich hasste das hier. Ich hasste es, ihn so zu sehen.
    Â»Was kann ich tun?« Cormac stand ganz in der Nähe, die Hände zu Fäusten geballt, und beobachtete uns mit einem Gesichtsausdruck, den ich noch nie an ihm gesehen hatte. Hilflosigkeit vielleicht?
    Â»Geh uns aus dem Weg«, sagte ich. »Bleib in der Hütte und sperr die Tür ab.«
    Â»Cormac …« Bens Stimme war nicht mehr die seine. Seine Kiefermuskeln waren angespannt, sein Atem ging keuchend, und die Worte klangen dumpf. »Schau zu, ich will, dass du es mit ansiehst. Kitty, er muss zuschauen.«
    Ich half ihm aufzustehen, indem ich ihm den Arm um den Rücken legte und ihn emporzerrte. »Ben, du musst mit mir nach draußen gehen. Steh auf.«
    Irgendwie schaffte er es, auf die Beine zu torkeln. Er lehnte sich fest an mich.
    Cormac kam auf uns zu. »Lass mich helfen …«
    Â»Nein!«, sagte ich barsch. Sogar knurrend. »Er hat Krallen, er könnte dich kratzen. Geh uns einfach aus dem Weg.«
    Cormac trat beiseite und öffnete uns die Tür.
    Der Wald draußen war silbern und voller scharf umrissener, tiefer Schatten. Eine Vollmondnacht, hell und verlockend. Die kalte Luft wirkte elektrisierend auf meinen Körper.
    Ich konnte spüren, wie Bens Körper unter meinem Arm kleine Wellen schlug, als bewegte sich schleimiges Zeug
unter seiner Haut. Mir wäre schlecht geworden, wenn ich dies nicht schon am eigenen Leib erfahren hätte. Er war steif vor Schmerz. Ich schleppte ihn halb von der Veranda auf die Lichtung vor der Hütte. Weiter würden wir es

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