Die Stunde Der Jaeger
nicht schaffen. Ich lieà ihn zu Boden fallen, wo er sich auf der Seite liegend zusammenrollte. Dicke Stoppeln bedeckten seine Arme.
Ich nutzte seine momentane Unbeweglichkeit und zog den ReiÃverschluss seiner Jeans auf. Es dauerte zu lange; meine Hände zitterten. Doch ich musste ihm die Kleidung ausziehen, bevor er darin feststeckte. Das würde die Schmerzen und die Verwirrung nur verschlimmern. Ich packte beide Bünde â Jeans und Unterhose â auf einmal und zog ihm die Kleidung so weit wie möglich nach unten. Dann schnappte ich mir den Saum des T-Shirts und riss es nach oben, zerrte es ihm gewaltsam über den Kopf.
»Komm schon, Ben, hilf mit«, murmelte ich. Meine eigene Wölfin lehnte sich in meinen Innern auf â Es ist soweit, es ist soweit! â, sie hatte jetzt ein Rudel, und eigentlich sollten wir uns alle gleichzeitig verwandeln und losrennen. Ich sperrte sie weg, hielt das sich windende Tier im Zaum und achtete nicht darauf. Ich musste Ben helfen, dies durchzustehen. Sein ganzer Körper war mit Flaum überzogen â beinahe konnte ich zusehen, wie sein Fell wuchs.
Er stöhnte erneut, durch zusammengebissene Zähne und angespannte Kiefer. Er setzte alles daran, nicht zu schreien. Ich half ihm, die Arme auszustrecken und das T-Shirt ganz auszuziehen.
Wieder nahm ich sein Gesicht in meine Hände. Die Knochen streckten sich unter meiner Berührung.
»Ben, kämpf nicht dagegen an. Ich weiÃ, dass du das möchtest, aber du kannst es nicht aufhalten, und je mehr du dagegen ankämpfst, desto schlimmer ist es. Sieh mich an!« Seine Augen waren zusammengekniffen, doch er schlug sie auf und erwiderte meinen Blick. Seine Augen waren bernsteinfarben. »Lass los. Du musst loslassen.«
Was man »loslassen« musste, war das Menschsein. Er musste von dem Körper lassen, den er sein ganzes Leben lang gehabt hatte. Es war nicht einfach. Etwas anderes hatte er nie gekannt. Und dieser Körper entglitt ihm, so sicher, wie sich der Himmel über uns verdunkelte und der Vollmond aufging.
Endlich entrang sich ihm der Schrei, der sich die ganze Zeit über in ihm angestaut hatte. Der ohrenbetäubende Ton voller Todesqualen hallte um uns herum und gen Himmel. Als ihm die Luft ausging, gab er ein Winseln von sich â ein Wolfswinseln. Er machte sich von mir los und fiel nach vorne, hielt sich den Bauch, während sich seine Brust bei jedem keuchenden Atemzug hob und senkte.
Ich blieb bei ihm, trat hinter ihn, umarmte ihn von hinten, meine Wange an seinen fellbedeckten Rücken gepresst, und hielt ihn, so fest ich nur konnte, damit er wusste, dass ich hier war. Er musste unbedingt spüren, dass er nicht allein war. Mein bester Freund T.J. hatte mich bei meinem ersten Mal so gehalten. Ansonsten hätte ich vor Angst vielleicht den Verstand verloren.
Er verwandelte sich.
Sein Rücken bog sich unter einem kräftigen Anfall, doch ich lieà nicht los. Dann verrutschten seine Knochen,
streckten sich, schmolzen, bildeten sich neu. Es geschah langsam. Vielleicht war das beim ersten Mal immer so. Ehrlich gesagt wusste ich es nicht mehr genau. Ich konnte mich grob an die Geschehnisse und Emotionen im Allgemeinen erinnern, als es mir passiert war, aber nicht an Einzelheiten wie diese. Es schien ewig zu dauern, und ich hatte zu viel Angst um zu schreien. Was, wenn er nicht mehr heil zurückkehrte?
Da hörten die Bewegungen auf, das Stöhnen verstummte. Ich lag auf dem Boden und hatte die Arme um einen gewaltigen geschmeidigen Wolf geschlungen, der ausgestreckt dalag und keuchend nach Atem rang. Bei jedem Heben seines Brustkorbs winselte er auf, als läge er im Sterben. Doch dem war nicht so, er war lediglich erschöpft. Ich lieà meine Finger durch sein dichtes, prachtvolles Fell gleiten. Er war dunkelgrau mit einzelnen rostfarbenen Tupfen, die an Schnauze und Bauch ins Cremefarbene gingen. GroÃe Ohren lagen flach an seinem Kopf an, und er hatte eine lange, dicke Schnauze. Er war schweiÃnass â menschlicher SchweiÃ, der den Wolfspelz verfilzt hatte.
Ich rieb mein Gesicht an seinem Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Alles in Ordnung, du wirst es schaffen. Ruh dich jetzt einfach aus. Ruh dich einfach aus.« Bedeutungslose Trostworte, unter Tränen gesprochen. Bei dem Geräusch stellte er die Ohren auf, hob den Kopf, sah mich an. Ich hätte schwören können, dass ich Ben in den Augen erblickte. Er sah
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