Die Stunde Der Jaeger
alles schon einmal gemacht.
»Sag nichts, bis ich auch da bin«, meinte Ben.
»Ja, klar, das haben wir oft genug durchexerziert.« In Handschellen begleitete Cormac Marks ohne Widerrede zu dessen Streifenwagen.
»Joe, Alice, passen Sie auf die Leiche auf. Niemand darf etwas anfassen, bis der Coroner eintrifft. Alle bleiben da, bis ich Ihre Aussagen habe«, sagte Marks. Die beiden klammerten sich aneinander. Rasche Blicke besagten, dass sie ihn gehört hatten, doch sie rührten sich nicht.
Ich hatte das Gefühl, in einer schlechten Folge einer abendlichen Polizeiserie gelandet zu sein. Eine Leiche, unwahrscheinliche Umstände, zu viel Drama.
»Möchtest du in die Hütte und dich sauber machen?«, fragte Ben.
Das sollte ich wohl. Ich hatte das Gefühl, als habe man mich durch einen ReiÃwolf gejagt. »Ja. Solltest du nicht mit Cormac mitfahren?«
Er sah den beiden unsicher nach, die Lippen zusammengepresst. »Sobald es dir gut geht.«
Dann half er mir auf die Beine. Meine Schultern waren steif, und die Vorderseite meines T-Shirts war blutbedeckt. Wieder einmal ein T-Shirt ruiniert.
Tony hatte sich zurückgezogen, hielt sich abseits, die Hände vor sich gefaltet. Die Kerzen waren alle erloschen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie dunkel es auf der Lichtung geworden war.
»Das Ding hat Sie verletzt«, sagte er. »Sie sind verflucht. Sie beide sind verflucht.« Er nickte Cormac hinterher.
»Das ist die Geschichte meines Lebens«, sagte ich. »Irgendwelche Ratschläge?«
»Der Mensch kann sich nicht in alles einmischen. Manchmal muss man den Dingen einfach ihren Lauf lassen.«
So etwas sagten die Leute, wenn sie keine Ahnung hatten, was als Nächstes zu tun sei. »Danke«, murmelte ich.
»Ich glaube nicht, dass Sie das Ausmaà begreifen. Diese Magie, der Handel, den man eingehen muss, um ein Skinwalker zu werden â es ist schrecklich. Eigentlich sollte es zu furchtbar sein, um es auch nur in Erwägung zu ziehen. Doch sie hat es getan, ganz offensichtlich. Sie hat jemanden aus ihrer eigenen Familie geopfert, um diesen Blutzauber zu bewerkstelligen.« Seine Haltung war steif, das Entsetzen war ihm klar anzusehen.
»Ich bin schon ein Werwolf«, sagte ich. »In was werden mich diese Verletzungen also schon verwandeln?«
Tony zuckte mit den Schultern. »Gott weiÃ. Ich sage Ihnen aber, die Sache ist nicht vorbei.«
Tja, kein Silber für ihn. Ich fragte lieber nicht, wie viel schlimmer es werden könnte.
Als ich mich auf den Weg zur Hütte machte, zuckte ich zusammen. Ich musste mich auf Ben stützen, weil sich mein ganzer Körper anfühlte wie Glas, das kurz vor dem Zerspringen stand.
Joes Worte überraschten mich, weil er so selten etwas sagte. »Ich kann nicht glauben, dass es Ihnen gut geht. Ich habe gedacht, Sie sind tot. Nach so was sollten Sie eigentlich tot sein.«
»Wenn ich kein Werwolf wäre, wäre ich das auch.« Ich konnte noch immer nicht erkennen, wie schlimm es um mich stand. Meine ganze Vorderseite glänzte dunkel vor Blut.
So viel zu unserem friedensstiftenden Ritual. Die Situation war surrealer und furchterregender denn je. Wahrscheinlich hätte ich einfach die Stadt verlassen sollen. Dann wäre nichts hiervon passiert.
Ich wollte nicht, dass alle mit diesem Gefühl auseinandergingen.
»Möchten Sie reinkommen und einen Kaffee trinken? Oder vielleicht habe ich irgendwo noch Tee.« Oder eine Flasche Whiskey.
Joe und Alice wechselten Blicke. Alice nickte, und die beiden kamen auf uns zu.
»Sie auch«, sagte ich zu Tony. »Wenn Sie es ertragen, sich in der Nähe eines Menschen aufzuhalten, der so arg verflucht ist.«
Tony zögerte so lange, dass ich schon dachte, er würde ablehnen; dass ich so befleckt war, dass er es wirklich nicht
ertrug, sich in meiner Nähe aufzuhalten, obwohl er mich im Laufe des Tages noch als »nicht böse« bezeichnet hatte. Es war unglaublich, dass dies immer noch derselbe Tag war.
Dann sagte er: »Ich habe einen Tee. Der sollte helfen. Es hilft, ihn zu trinken, wenn man in einen Kampf verwickelt gewesen ist.«
Es konnte jedenfalls nicht schaden. Hoffte ich.
»Okay«, sagte ich, und er ging zu seinem Truck.
Die anderen versammelten sich in der Küche. Ben brachte mich ins Badezimmer.
»Himmelherrgott, sieh dich an!«, sagte er, nachdem er das Licht angemacht hatte.
Ich winselte auf.
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