Die Stunde Der Jaeger
Ich wollte nicht nachsehen. Ich drehte mich vom Spiegel weg.
»Sollen wir dich in ein Krankenhaus bringen?«
»Nein, das wird schon. Ich habe schon Schlimmeres erlebt.« Tapfere Worte.
Wir mussten mein T-Shirt und meinen BH aufschneiden. Auf meiner Brust und meinen Schultern befand sich ein Dutzend Stichwunden, wo der Skinwalker mir wieder und wieder die Krallen ins Fleisch geschlagen hatte. Mein rechter Arm war zerfetzt. Hier hatte sie mich gebissen und an mir genagt, und unzählige Wunden und Bissspuren übersäten das Fleisch. Ich stand über das Waschbecken gebeugt, während Ben mich mit einem Schwamm abwusch. Das Blut war mir bis in die Haare und ins Gesicht gespritzt. Ich würde eine Woche unter der Dusche verbringen müssen, um sauber zu werden.
»Ich hätte etwas tun sollen«, murmelte Ben. »Ich hätte dir helfen sollen.«
»Ich bin froh, dass du es nicht getan hast. Es wäre nur uns beiden so ergangen. Dieses Ding â ich bin erstarrt gewesen. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nichts tun. Genau wie Cormac gesagt hat.« Genau wie die Kühe. Sie konnten nicht weglaufen, sie konnten sich nicht zur Wehr setzen. Sie hatte sie in aller Ruhe niedergemetzelt.
»Wann setzt dieser schnelle Heilungsprozess ein?«
»Er hätte bereits beginnen sollen.« Aus sämtlichen Wunden sickerte noch Blut, und sie taten höllisch weh.
Er schüttelte geistesabwesend den Kopf und tupfte frisches Blut fort. »Hast du Verbandszeug? Ich glaube, wir werden ein paar Stellen verarzten müssen. Hast du was anzuziehen?«
»Im Wandschrank ist ein Hemd, glaube ich. Das sollte ich anziehen können, ohne zu schreien.« Ich stützte mich immer noch auf das Waschbecken. Ich hatte Angst mich zu bewegen, weil ich wusste, dass es wehtäte.
Ben betrachtete mich einen Augenblick und hatte dann die Frechheit zu lächeln. »Für jemanden, der behauptet, sich nicht gern in Sachen hineinziehen zu lassen, hast du zweifellos ein Talent, dich in Sachen hineinziehen zu lassen. « Er küsste mich auf die Lippen und ging das Hemd holen. Augenblicklich fühlte ich mich besser. Hey, es war beinahe, als hätte ich es so geplant: Ben ging es prima, seitdem er sich um jemand anderen Sorgen machen konnte. Das musste ich mir merken.
Er kehrte mit einem Flanellhemd zurück, und ich schickte ihn zurück, damit er etwas anderes holte. Ich stellte mir lieber nicht vor, wie es wäre, wenn Flanellfasern in die verheilenden Wunden gerieten.
Als wir wieder die Küche betraten, waren Alice, Joe und Tony in ein Gespräch vertieft. Vielleicht nicht gerade fröhlich, aber doch freundlich. Als würden sie eventuell sogar als Freunde aus dem Ganzen hervorgehen. Tony goss heiÃes Wasser aus einem Kessel in Tassen. Sein Tee roch reichhaltig, warm, beruhigend â genau wie er versprochen hatte. Ich roch Kamille, zusammen mit Düften, die ich nicht wiedererkannte.
Tony sagte: »Sie wirken einfach nicht wie ein Mensch, der etwas für Tieropfer übrig hat.«
»Nun ⦠bin ich auch nicht. Das waren alles überfahrene Tiere, die Joe und Avery aufgesammelt haben. Wir haben Blut vom Schlachter hinzugefügt, um es frisch aussehen zu lassen. Ich habe nur dafür gesorgt, dass niemand sie sehen oder hören konnte, während sie die Dinger platzierten.«
Verflucht noch mal ⦠Bevor ich etwas Patziges sagen konnte, fuhr Tony fort: »Das erklärt einiges. Es hat nicht funktioniert, sie ist nicht fortgegangen, weil Sie nicht gewillt waren, das Opfer selbst darzubringen, das Blut zu vergieÃen. Sie waren nicht gewillt, das auf sich zu nehmen, um zu bekommen, was Sie wollten.«
Leise sagte Alice: »Im Gegensatz zu dem Mädchen da drauÃen.«
Nach kurzem Schweigen nutzte ich die Gelegenheit, um mich einzuschalten. »Ich gebe so viel Geld in Ihrem Laden aus, und trotzdem wollen Sie mich nicht hier haben?«
Alice verzog das Gesicht, als werde sie gleich in Tränen ausbrechen, und ich bereute meine Gehässigkeit. Sie hatte wirklich nicht gewusst, was sie tat, oder?
»Oh, Kitty, ich hatte einfach Angst. Das hatten wir alle. Wir hatten ja keine Ahnung! Man hört Geschichten und rechnet mit dem Schlimmsten. Wir haben bloà versucht, die Stadt zu beschützen, das verstehen Sie doch bestimmt.«
»Also ⦠während der letzten beiden Vollmonde. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? Haben Sie gemerkt, dass
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