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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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denn ihre Füße waren kalt und nass, als sie die leere Bar des Théâtres betrat.
    Nur wenige Gäste saßen um diese Jahreszeit an den kleinen runden Tischen. Ein paar Hausmannequins aßen in ihrer Mittagspause eine Portion Salat. Diese Mädchen führten täglich den reichen Kundinnen die Modelle vor, wenn die Starmannequins längst zu Fotoshootings irgendwo auf der Welt gereist waren. Fleur setzte sich an den letzten Tisch in der Ecke und griff nach der Zeitung, die jemand dort zerknittert zurückgelassen hatte.
    Ein Journalist hatte die »Affäre des Sommers« noch einmal aufgegriffen. Man sah Albert mit seiner Frau und den Söhnen an der Côte d’Azur, auf einem kleinen Foto daneben war Fleur mit Albert abgebildet, eine alte Aufnahme vom Juli, als die beiden einen Ball in einem Schloss nahe von Paris besuchten. Fleur trug eine weiße, bestickte Abendrobe von Balenciaga.
    Das endgültige Aus einer Sommeraffäre. Albert de Montherlant verbringt glückliche Ferien mit seiner Familie. Die Exgeliebte Fleur Déschartes spielt keine Rolle mehr.
    Verärgert warf Fleur die Zeitung auf den Stuhl. Wie lange noch würde sie nur die abgelegte Geliebte eines alternden Mannes sein, der sich letztendlich doch für seine Frau entschieden hatte?
    Sie bestellte sich ein Kännchen heißen Tee, um sich aufzuwärmen. Doch dann erschrak sie. Hatte sie überhaupt genügend Geld dabei? Sie griff nach ihrer Handtasche, stellte sie vor sich auf den Tisch und wühlte ihr Portemonnaie heraus. Während sie mit dem Zählen der wenigen Münzen beschäftigt war, rückte jemand einen Stuhl zurecht und setzte sich zu ihr an den Tisch. Unwillig sah sie hoch.
    »Kennen wir uns?«, fragte sie distanziert. »Ich habe Ihnen nicht erlaubt, sich zu mir zu setzen.«
    Sie griff nach der kleinen, geschwungenen Kanne, goss sich Tee in die Tasse und nahm einen Schluck.
    »Du hast mich vergessen?«, fragte der Mann und legte seine Kamera auf den Tisch.
    Da fiel es Fleur wieder ein.
    Er hatte sie an dem Tag angesprochen, an dem sie auf das Angebot von Albert de Montherlant eingegangen war.
    »Ich möchte Fotos von dir machen«, hörte sie den Mann sagen, der sich noch einmal vorstellte: »Georges Bonnet.«
    Fleur atmete tief durch. Ein paar Tage zuvor hatte sie bei Maxime die
Vogue
durchgeblättert. »Hier«, hatte Maxime ihr gezeigt, »diese Fotos hat Georges Bonnet gemacht, der neue Star.« Und sie hatte ihn damals für einen kleinen, miesen Fotografen gehalten, der Mädchen ansprach, um mit ihnen ins Bett zu gehen. Ja, sogar seine Karte hatte sie weggeworfen.
    Jetzt war sie gehemmt, weil er sie duzte. Aber sie wollte nicht als dummes Provinzmädchen dastehen, und so überhörte sie die Anrede.
    Er tastete die Taschen seiner Lederjacke nach Zigaretten ab.
    »Du hast einen schlechten Ruf weg.« Mit dem Kopf deutete er grinsend auf die Zeitung, die noch auf dem Stuhl lag.
    Fleur schwieg, was sollte sie auch sagen? Dass alles nur ein Geschäft gewesen war, auf das sie sich leichtsinnigerweise eingelassen hatte? Aus Geldnot? Aus Hilfsbereitschaft ihrem Freund gegenüber und aus der Freude heraus, ein paar Haute-Couture-Kleider zu besitzen, die ihr dann weggenommen wurden?
    Sie blieb stumm, um die Schweigeklausel in dem Vertrag mit Albert de Montherlant nicht zu brechen. Sie beobachtete Georges, wie er eine Packung filterloser Zigaretten aus der Innentasche seiner Jacke zog und sich eine davon in den Mund steckte.
    »Darf ich?« Wortlos nickte Fleur, und er zündete sich die Zigarette an. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen, seine Augen wurden schmaler, und ihm schien nicht die geringste Kleinigkeit zu entgehen. Es machte Fleur verlegen, und immer wieder fuhr sie sich nervös durch die langen Haare.
    Von Maxime wusste sie, dass Georges zweiundvierzig Jahre alt war. Er hatte ein schmales, braungebranntes Gesicht und viele kleine Fältchen um die graublauen Augen, die er immer wieder zusammenkniff. Er strahlte Unruhe und Nervosität aus, und als er an seiner Zigarette zog, sah es aus, als wäre es seine letzte vor einem Entzug. Der Barkeeper brachte ihm einen Pernod, und Georges prostete Fleur kurz zu. Während er rasch sein Glas leerte, beobachtete er sie weiterhin.
    »Hast du morgen Zeit?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, holte er eine verbeulte Visitenkarte aus seiner Jacke und schob sie ihr in die Hand. »Nicht verlieren!«, schärfte er ihr ein. »Und morgen früh bist du pünktlich um sieben Uhr an dieser Adresse.« Er stand auf und warf ein paar Geldscheine

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