Die Stunde der Schwestern
beiden Söhne an der Hand, verließ sie nach einer Aussprache mit ihrem Mann das Haus an der Avenue Hoche. Die Stimmung der Leser schlug um, man bedauerte die Ehefrau und stempelte Fleur zu einem gewissenlosen Mädchen ab, das eine Ehe zerstören wollte. Fleur wagte sich kaum mehr auf die Straße, viele Leute erkannten sie, sprachen sie an und beschimpften sie sogar. Eine Woche später erfuhren Maxime und Fleur aus der Zeitung, dass Albert de Montherlant zu seiner Frau zurückgekehrt war.
Die Presse jubelte, als das glückliche Ehepaar im Restaurant Le Grand Vefour auf seine Versöhnung anstieß und den Kameras ein strahlendes Gesicht zeigte.
»Die vergangenen Monate waren ein großer Fehler«, erzählte Albert bereitwillig den Journalisten. »Ich bin glücklich, dass mir meine Frau verziehen hat. Meine Affäre mit Fleur Déschartes habe ich beendet.«
Nur Fleur wusste, dass er in Wirklichkeit seine Affäre mit Maxime beendet hatte. Für die Presse aber hatte »die Affäre des Sommers« auf ihre Art doch noch ein romantisches Ende gefunden.
Fleur erhielt von Albert die vereinbarte Summe, doch das Modehaus Balenciaga ließ seine Modelle abholen. Wie mit Monsieur de Montherlant abgesprochen, seien die teuren Kleider nur eine Leihgabe gewesen.
»Irgendwann«, schwor sich Fleur, »werde ich mir selbst Haute Couture leisten können, und niemand wird sie mir wegnehmen.«
Sie war wütend auf Albert, doch sie fühlte sich auch erleichtert, dass diese »Affäre« beendet war.
Maxime konnte nicht begreifen, dass Albert zu seiner Frau zurückkehrte. Er litt, weinte und drohte, sich umzubringen. Dann schwor er Rache, rief Alberts Frau an und erzählte ihr die Wahrheit. Doch Georgia blieb kühl und erklärte, Albert habe ihr seinen kleinen Ausrutscher in die Homosexualität gebeichtet, er wisse jetzt ganz genau, dass er nur Frauen lieben könne. Insbesondere sie, Georgia, seine geliebte Frau und die Mutter seiner Söhne.
So wurden Maxime und Fleur zu Verlierern in einem Spiel Albert de Montherlants, der seiner sexuellen Neugier nachgegeben und verborgene Wünsche ausgelebt hatte.
Fleur machte sich große Sorgen um Maxime. Sie versteckte seine Rasierklingen und die große Stoffschere, und sie spülte alle Schlaftabletten, die sie fand, in die Toilette. Maxime tobte, als er sie suchte, doch dann brach er in Fleurs Zimmer weinend zusammen, klammerte sich an sie und nannte sie seine einzige Freundin.
»Niemals werde ich vergessen, dass du für mich da bist«, schluchzte er in ihren Armen.
Als er am nächsten Tag nicht herüberkam, klopfte Fleur beunruhigt an seiner Tür und war erleichtert, als er sie hereinrief. Maxime saß an seinem Tisch und zeichnete. Statt einer Begrüßung schwenkte er eine Skizze in der Hand.
»Schau dir diesen Entwurf an! Damit werde ich berühmt werden, ich, Maxime Malraux, die neue lebende Legende nach Christian Dior.«
Maxime wirkte überdreht, sein Gesicht war stark gerötet, und übergangslos brach er in Schluchzen aus. »Da, lies!
Le roi est mort!
«
Fleur kam an den Tisch heran, hob eine Zeitung hoch und las:
Christian Dior ist tot. Le roi est mort. Der große Modeschöpfer starb am
24
. Oktober
1957
nach einem Herzanfall im italienischen Montecatini.
Mit der Zeitung in der Hand blieb sie vor Maximes Tisch stehen und wartete geduldig, bis er sich langsam beruhigte, tief durchatmete und aufstand.
»Ich«, sagte Maxime langsam und legte die rechte Hand auf sein Herz, als leiste er den Eid auf die französische Fahne: »Ich, Maxime Malraux, werde der neue Star nach Christian Dior. Auch ich werde zum Mythos werden, ich werde Christians wirklicher Nachfolger sein.«
Maxime vergaß Fleur. Ohne sie weiter zu beachten, setzte er sich wieder auf den Stuhl, nahm seinen Stift und zeichnete. Fleur drehte sich wortlos um und verließ den Raum.
Le roi est mort.
Doch Maxime hatte nur die Schlagzeile gelesen und das kleinere Foto übersehen, das einen schmächtigen jungen Mann mit Brille zeigte, der an einer Mauer lehnte, ganz versunken in seiner Trauer.
Der Nachfolger steht bereits fest: Yves Saint-Laurent .Vive le roi!
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7
Oktober 1957
Paris
D ie alten Kastanienbäume entlang der Avenue Montaigne reckten ihre kahlen Äste in den trüben grauen Herbsthimmel. In der Nacht hatte es stark geregnet, und der Sturm hatte die gelben Blätter auf die Straße geweht. Zwischen dem nassen Laub lagen die glänzenden braunen Kastanien, und Fleur ging vorsichtig, um nicht auszurutschen. Sie fror,
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