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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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als die der vergangenen Saison.
    Du bist alt. Maxime starrte sich jetzt mit selbstquälerischer Verbissenheit im Spiegel an. Alt … alt … alt …
    Er sollte den Weg frei machen für junge Talente mit innovativen, frischen Ideen, er sollte sich zurückziehen. Heute konnte er nicht mehr so intensiv arbeiten, wie er es noch vor einigen Jahren gekonnt hatte, denn die Leere in seinem Inneren ließ ihn verzweifeln. Jeder neue Tag machte ihm Angst. Es war so schwer, jeden Morgen aufzustehen, wenn man den Glauben an das eigene Können verloren hatte. Immer hatte er das Mittelmaß gehasst, und doch wusste er längst, dass Maxime Malraux nur noch Mittelmäßiges kreierte, das er dann zu etwas Besonderem aufbauschte. Langsam schlüpfte Maxime in seinen vorgewärmten Bademantel. Als junger Mann hatte er geglaubt, mit dem Alter kämen Weisheit und Abgeklärtheit. Er hatte nicht geahnt, wie erbarmungslos das Altern war und wie sehr es verletzte, ausgetauscht zu werden.
    Er hörte, wie Josephine leise sein Schlafzimmer betrat, das große Tablett auf sein Bett stellte und sofort wieder verschwand. Er wartete, bis sie die Tür diskret hinter sich geschlossen hatte, und ging zurück. Er frühstückte gern im Bett. Wie immer trank er morgens Tee und Orangensaft, aß Obst, meist eine indische Mango oder eine Ananas, und dazu gab es einen Naturjoghurt. Er griff nach dem frischgepressten Saft und trank ihn mit kleinen Schlucken, während er einen zerstreuten Blick auf die aktuelle amerikanische
Vogue
warf. Die Modewelt war erbarmungslos, sie ging über ihn hinweg, und das war das Grausamste, was ihm passieren konnte.
    Maxime lehnte sich in die schwarzen Seidenkissen zurück und schloss die Augen, während er sich kleine Stücke der Mango in den Mund schob.
    Allahu akbar … aschhadu ana lailallaha illahah
 … Er erinnerte sich an die Klänge aus seiner Kindheit, als er mit seiner Mutter Marrakesch besucht hatte. Dort, wo seine Wurzeln lagen. Die Stimme des Muezzins, so fremdartig und so durchdringend und hoch unter der heißen Sonne Marokkos. Das Leben war so schnell vorbeigegangen, und er war am Ende angekommen. Maxime spürte es und konnte doch nichts dagegen tun.
    *
    »Rot, leuchtendes Rot. Maxime will Koralle, nicht dieses Kirschrot, das keiner Frau steht und sie nur älter macht. Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Das ist Koralle. Bérénice, sag doch auch mal was!« Rauls Stimme überschlug sich fast, als er von Bérénice eine Stellungnahme verlangte.
    Um das russische Model Nastassja stand das Team von Maxime: Camilla, Raul, Cathérine und June. June war die Jüngste und beteiligte sich nicht an der Diskussion. Gelangweilt biss sie in einen Apfel. Sie konnte sich alles erlauben, denn sie war die Tochter von Jim Grant, dem alternden amerikanischen Rockstar, der mit sechzig Jahren noch ganze Hallen füllte und einer der reichsten Männer Amerikas war.
    Während sich das Team um Farbnuancen stritt, stahl sich Bérénice aus dem Raum und hörte gerade noch, dass Maxime der heutigen Anprobe fernbleiben werde. Sie holte ihre Handtasche aus ihrem Atelier, lief die Treppe hinunter und verließ das Haus. Es war Freitag, und Bérénice schlenderte langsam die Avenue Montaigne entlang bis zum Rond Point. Sie genoss das warme Herbstwetter.
    Während der Anprobe hatte jemand erzählt, Jean Bergé sei im Deux Magots mit einer blutjungen Chinesin gesehen worden. Also war er zurück in Paris. Nach der Vernissage von Georges Bonnets Witwe hatte er versprochen, sich zu melden, wenn er aus New York und Schanghai zurück sei. Er hatte sie beruhigend in den Arm genommen, sie nach Hause gefahren und mit ihr noch einen Whiskey getrunken. Dann war er gegangen. Doch er hatte sie zuvor geküsst, als sie nebeneinander auf ihrem alten Sofa saßen. Der Kuss war schön gewesen, und Bérénice hatte ihn nicht vergessen. Aber es war nur ein Kuss gewesen, nichts weiter. Sicher hatte Jean den Abend längst vergessen.
    *
    Als Bérénice die Petite Galerie des Arts betrat, war Adrienne Bonnet damit beschäftigt, die Fotos ihres Mannes von den Wänden zu nehmen.
    »Wir haben geschlossen«, rief sie über die Schulter zur Tür, doch als sie Bérénice erkannte, drehte sie sich um und kam auf sie zu. »Gestern war der letzte Tag der Ausstellung. Sie werden nicht mehr viel sehen«, sagte sie bedauernd.
    »Ich weiß, ich bin ein paarmal hier vorbeigegangen«, erwiderte Bérénice. »Ich möchte ein Foto von Fleur kaufen, geht das?«
    Adrienne ging zu dem

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