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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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gewahrt bleiben, und offensichtlich hatte Denise Etienne nicht angezeigt und geschwiegen.
    Während der Beerdigung und bei dem Essen im Crocodile hatten beide Frauen jeden Blickkontakt vermieden. Denise hatte nur kurz erklärt, Fleur habe ihren Zug in Marseille verpasst, sie würde sie auf dem Friedhof treffen. Aus diesem Grund hatte sie sich noch während des Essens entschuldigt. Kurz vor dem Nachtisch hatte auch Etienne unter einem gemurmelten Vorwand das Restaurant verlassen, während sich die wenigen Trauergäste weiterhin bei gutem Rotwein und Käse bestens unterhielten.
    Marguerite stand jetzt am Fenster der Apotheke und wartete ungeduldig auf Etienne. Sie ahnte, dass er zum Friedhof gegangen war, um Fleur zu sehen. Sie wusste, dass ihr Sohn die schöne Fleur verzweifelt liebte, denn auch sie kannte Etiennes Schublade unter der Theke und hatte einen unbeobachteten Augenblick genutzt, um sie zu öffnen. Das war noch vor dem »bewussten Tag« gewesen.
    Es wurde bereits dunkel, und die alten, gebogenen Straßenlaternen warfen schon ihr trübes Licht über den leeren Platz, als sie endlich Etienne kommen sah. Er hielt den Kopf gesenkt, ging geradewegs auf das Haus zu und die Stufen zur Apotheke hinunter. Marguerite hörte, wie er die Tür aufschloss und öffnete. Ihr Herz fing heftig zu schlagen an, fast bereute sie die Entscheidung, die sie getroffen hatte.
    Überrascht blieb Etienne stehen, als seine Mutter in die Apotheke kam. Sie trug einen kleinen Koffer, und über ihrem Arm hing ihr brauner Mantel.
    »Ich möchte mit dir reden.« Marguerites Stimme zitterte, während sie nervös an ihrem Mantel herumnestelte. »Ich habe nicht viel Zeit, mein Zug geht in einer halben Stunde. Ich fahre zu meiner Schwester Françoise nach Avignon. Sie ist einsam und kann mit ihrem Rheuma kaum mehr laufen. Ich werde ihr in den nächsten Monaten zur Seite stehen.« Als Etienne schwieg und sie nur anstarrte, sprach sie weiter: »Ich komme wieder, wenn Denise das Kind bekommen hat. Nachdem sie den … deinen brutalen Angriff überstanden hat, wird sie das Kind austragen können, das hoffe ich zumindest. Für Denise und auch für dich.«
    Wieder schwieg Etienne. Seine Gedanken weilten bei Fleur, wie sie auf dem grauen Steinsockel gesessen und nicht auf ihren hochgerutschten Rock geachtet hatte, der den Blick auf ihren Schenkel freigab. Das hatte Etienne erregt, und die Vorstellung, ihn mit seiner Hand zu berühren, entlangzugleiten bis …
    »Hast du mir nicht zugehört?« Marguerites Stimme wurde lauter. »Ich habe Lisette Dupont gebeten, den Haushalt zu übernehmen und auf Denise zu achten, während ich weg bin. Denise soll dir nicht ausgesetzt sein«, fügte sie leise hinzu und bemühte sich, das Weinen zu unterdrücken. »Sie kann in meinem Zimmer im Erdgeschoss schlafen, und Lisette wird das kleine Zimmer übernehmen. So ist sie in ihrer Nähe.«
    »Willst du mich überwachen lassen?« Etienne reagierte gereizt und war doch froh, dass seine Mutter verreiste. Er empfand tiefe Scham, dass sie Zeugin der Vergewaltigung geworden war. Verstohlen warf er ihr einen Blick zu. Sie schien gealtert, ihr Gesicht wirkte verhärmt, und an den Augen erkannte er, dass sie in den vergangenen Wochen viel geweint hatte. »Es tut mir so leid«, sagte er, als ihm der Kummer bewusst wurde, den er seiner Mutter bereitet hatte.
    Doch Marguerite ging schweigend an ihm vorbei. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ich möchte, dass du dich Denise gegenüber anständig verhältst, dich entschuldigst und dich von ihr fernhältst. Wir können froh sein, dass sie dich nicht angezeigt hat. Du musst alles tun, damit kein Gerede aufkommt und nichts nach außen dringt. Ist das klar?«
    Etienne nickte, doch dann brachen die Worte aus ihm heraus: »Es tut mir wirklich leid, entsetzlich leid. Bitte, Maman, glaube mir!« Er verbarg sein Gesicht in den Händen.
    »Das musst du nicht mir, sondern deiner Frau sagen.«
    Marguerites Stimme klang hart und unversöhnlich, und Etienne ließ seine Hände sinken.
    »Ich möchte aber, dass du mir verzeihst«, bat er eigensinnig wie ein kleiner Junge.
    Marguerite schüttelte langsam den Kopf. »Das kann ich nicht vergessen«, sagte sie leise, doch die Qual, die sich auf Etiennes Gesicht zeigte, brach ihr fast das Herz. Er litt, er bereute, das spürte sie, und mit Tränen in den Augen hob sie ihre Hand und strich ihm zart über die Wange.
    »Adieu«, murmelte sie zärtlich. Während sie schon in der Tür stand, sagte

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