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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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sie noch über die Schulter hinweg: »Denise wollte mit Fleur in das Haus ihrer Mutter gehen. Ich habe mit ihr vereinbart, dass sie hierher zurückkehrt, sobald Lisette gekommen ist. Bis zur Geburt des Kindes hast du Zeit, deine Ehe in Ordnung zu bringen.«
    Ohne weiter auf Etienne zu achten, drehte sie sich um und verließ die Apotheke. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, denn Etienne war ihr Sohn, und sie liebte ihn, egal, was er getan hatte.
    Marguerite glaubte, Etienne bereue seine Tat zutiefst. Sie schluchzte in ihr Taschentuch und ahnte nicht, dass ihr geliebter Sohn nichts bereute, außer dass er seiner Mutter Kummer bereitet hatte.
    Es war schon fast dunkel und still in der Apotheke. Etienne machte das Licht an. Einen Moment verharrte er, warf einen raschen Blick durchs Fenster, dann ging er zur Theke, holte aus seiner Hosentasche einen kleinen Schlüssel und öffnete die Schublade. Wahllos griff er hinein und zog ein Foto heraus, das Fleur in einem enganliegenden Badeanzug zeigte. Sie bog ihren Körper dem Fotografen entgegen und lächelte mit leicht geöffneten Lippen in die Kamera.
Georges Bonnet
für Vogue
, stand darunter. Etienne nahm das nächste Foto und dann wieder eins und das nächste, bis der Platz auf der Theke nicht mehr ausreichte. Heftig schob er die Waage zur Seite, so dass sie krachend zu Boden fiel. Dann raffte er die restlichen Zeitungsausschnitte aus der Schublade zusammen, ging langsam in die Knie, streckte die Hände in die Luft und ließ die Fotos auf sein Gesicht flattern.
    »Du wirst mir gehören«, flüsterte er. »Eines Tages wirst du mir gehören … für alle Ewigkeit, Fleur Déschartes. Und ich werde dich leiden lassen für alles, was du mir angetan hast.«

[home]
    11
    Oktober 2001
Paris
    M axime Malraux erwachte im Zustand panischer Verzweiflung und beschloss, heute nicht aus dem Haus zu gehen. Diese ungewöhnliche Entscheidung entsprang einer tiefen Depression und emotionaler Irritation. Langsam quälte er sich hoch, indem er sich am Rand des großen Bettes abstützte, dann griff er nach dem seidenen Morgenrock, der, achtlos hingeworfen, am Boden lag. Maxime schlief immer nackt, doch heute würde er bei einem zufälligen Blick in den Spiegel den Anblick seines alternden Körpers nicht ertragen können. So schlüpfte er noch im Sitzen in den Morgenrock und stand mit einem Ruck auf. Abgeschlagen tappte er barfuß in sein Arbeitszimmer hinüber und stand dort dem Chaos einer erfolglos durchgearbeiteten Nacht gegenüber. Im grauen Licht des Morgens sah er sich mit Unmengen von Skizzen konfrontiert, die er noch sortiert hatte, bevor er ins Bett gegangen war. Auf dem Boden lagen zerknüllte Zeichnungen, der Papierkorb war randvoll mit unbrauchbaren Ideen.
    Maxime machte die Arbeitslampe an und beugte sich über die Skizzen, in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, was ihn für die nächste Kollektion weiterbringen könnte. Als er sich wieder aufrichtete, spürte er Schmerzen in den Ellbogen, dem Rücken und den Knien. Maxime hasste es, alt zu sein, und er hasste es, sich morgens so schlecht zu fühlen.
    Auf blanken Sohlen ging er zu der breiten Fensterfront, zog die Vorhänge auseinander und sah auf die Place Vendôme hinunter, auf der in diesem Augenblick die Laternen erloschen und die Säule in der Mitte in herbstlichen Frühnebel gehüllt war. Maxime lächelte in Erinnerung daran, wie er als Elfjähriger bereits hier über den Platz gegangen war, um sich in den Schaufenstern der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli die eleganten Kreationen anzusehen. Elsa Schiaparelli war längst tot und nur noch ein Name aus ferner Vergangenheit. Würde es ihm auch so ergehen?
    Unruhig fuhr er sich durch die dichten Haare und lehnte sich müde gegen die Fensterscheibe. Sein Blick streifte das Hotel Ritz und wanderte zum Haus Nummer  12 . Hier war der Komponist Frédéric Chopin gestorben, dessen Musik ihn durch die Kindheit begleitet hatte. Als Sohn eines strengen Vaters, eines erfolgreichen Rechtsanwalts, war er in einer großen Wohnung an der Place Saint-Sulpice aufgewachsen. Er liebte und verehrte seine Mutter, eine schöne Marokkanerin, die ganze Tage damit zubrachte, auf dem Flügel zu spielen. Sie liebte Chopin, und Maxime saß auf dem Sofa im Musikzimmer, hörte ihr mit Bewunderung zu und sah sie an. Kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag war sie an Brustkrebs gestorben. Seit dieser Zeit wollte Maxime nie mehr Chopin hören, der Schmerz über ihren Tod schien nie verwunden. Immer

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