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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Maybach
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erleichtert, dass er ihr weder vorgeschlagen hatte, sich zu duzen, noch dieses Treffen dazu benutzt hatte, um sich zu rechtfertigen.
    Er war ihr Vater, der nicht gewollt hatte, dass sie geboren wurde, und ihre leibliche Mutter hatte sie dann weggegeben. Vielleicht waren sie beide nur feige gewesen und hatten nicht den Mut besessen, Konsequenzen zu tragen, die ihr Leben gravierend verändert hätten.
    Fleur, Denise, Etienne, Patrice. Die vier gehörten zu ihrem Leben, doch jetzt hatte sie alles verloren, da sie die Wahrheit kannte.
    »Werde ich Sie wiedersehen?«, fragte Patrice unsicher.
    »Ja«, antwortete Bérénice nach kurzem Zögern. »Ich denke schon. Irgendwann – bald«, fügte sie, ohne nachzudenken, hinzu. »Werden Sie mir dann von Fleur erzählen?«, fragte sie, während sie mit einer Hand nach dem Brief in ihrer Tasche griff.
    »Natürlich. Alles, was ich weiß.« Patrice’ Stimme klang ernst und überzeugend, und Bérénice glaubte ihm.
    Jetzt holte sie Fleurs Brief heraus, behielt ihn aber noch in der Hand. Es war schwer, ihn wegzugeben, sie besaß so wenig von ihrer Mutter. Doch sie durfte ihn nicht behalten. Fleur hatte ihn dem Mann geschrieben, den sie geliebt hatte. Er hatte ein Recht darauf. So überreichte sie Patrice nach einem kleinen Zögern das Kuvert. »Hier.«
    »Was ist das?« Erstaunt griff er danach.
    »Das ist der Brief von Fleur, den sie Ihnen geschrieben hat, bevor sie verschwand. Offenbar hat sie vergessen, ihn abzuschicken.«
    »Danke.« Lange sah er auf das Kuvert hinunter, drehte und wendete es in der Hand, bis er den Kopf hob. Wieder traf Bérénice der Blick aus diesen forschenden blauen Augen.
    »Ich habe ihn gelesen«, sagte sie. »Er war offen, und ich habe ihn entdeckt, als ich Sie noch nicht kannte.«
    »Das hätte ich auch getan. Aber …« Patrice schaute an ihr vorbei ins Nichts. »Es passt nicht zu Fleur, dass sie einfach verschwindet, um irgendwo in der Welt ein neues Leben zu beginnen. Sie hätte nicht den Mut dazu gehabt.«
    Patrice hatte recht. Auch Bérénice hatte sich immer wieder gefragt, wieso Fleur nach Saint-Emile fuhr, um ihr Kind zu holen, sich aber dann plötzlich entschloss, ohne die Tochter Frankreich den Rücken zu kehren.
    Denise und Etienne müssen sie unter Druck gesetzt haben, drohten ihr vielleicht mit der Polizei, schoss es Bérénice jetzt durch den Kopf. Vielleicht gaben sie ihr Geld, damit sie verschwand.
    »Lesen Sie erst einmal den Brief!«, forderte sie Patrice auf. »Ich muss mich jetzt beeilen.«
    »Sie sehen blass aus. Sie sollten besser zu Hause bleiben«, ermahnte Patrice sie eindringlich, als sie sich verabschiedete.
    Sie spürte, dass er ihr nachsah, und da lächelte sie und empfand ein kurz aufflackerndes Gefühl von Glück. Schnell überquerte sie die Straße und hastete die Treppe zur Metro hinunter.

[home]
    17
    D as Fieber stieg. Bérénice befolgte Patrice’ Rat und legte sich, sobald sie in ihrer Wohnung ankam, sofort ins Bett. Am nächsten Tag versuchte sie, aufzustehen und sich anzuziehen. Es ging nicht. So traf sie die Entscheidung, nicht zur Show zu gehen.
    Es schien ihr nicht mehr wichtig, ob sie dabei war oder nicht. Im Moment lebte sie ein Leben auf zwei Zeitebenen. Seit sie Fleurs Brief an Patrice gelesen hatte, sah alles anders aus, jetzt, da sie die Vergangenheit kannte. Die Gegenwart, ihr Beruf, Maxime oder auch Jean hatten an Bedeutung verloren.
    Sie kochte Tee und machte es sich auf dem Sofa bequem. Dann rief sie Madame Bellier an und vereinbarte mit ihr einen Termin für die Abholung der Kleider aus Maximes Wohnung. Madame Bellier schlug Bérénice vor, ihr mit einem Kurier die restlichen Sachen zuzuschicken, und Bérénice war einverstanden.
    Nach dem Telefonat ließ sie den Kopf erschöpft auf die Kissen fallen. Dann wählte sie Camillas Handynummer, um für die Show abzusagen.
    »Das ist schade«, sagte die Chefdirektrice, »aber alles läuft sowieso anders als geplant. Maxime ist verschwunden.«
    Camilla saß im Ladurée an der Madeleine und musste sich mit fünf
macarons
in verschiedenen Geschmacksrichtungen beruhigen. Dazu trank sie starken Mokka.
    In wenigen Stunden begann die Show, und Maxime blieb verschwunden. Er ging nicht ans Handy, und seine Haushälterin hatte ihn seit drei Tagen nicht mehr gesehen.
    Gestern hatte Cathérine sie auf das Gerücht angesprochen, Maxime sei entlassen und ein junger Spanier sein Nachfolger. Sicher würde der Neue ein eigenes Team zusammenstellen, und sie alle würden

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