Die Stunde der Schwestern
Entwürfen für ein anderes Modelabel bereits Aufsehen erregt hatte. Schüchtern trat er vor die Journalisten, klein und zierlich, gekleidet in Jeans und Shirt, dazu trug er Turnschuhe.
Er habe Maxime schon als Kind verehrt, hauchte er ins Mikrofon und schien verwirrt von den vielen Kameras, die auf ihn gerichtet waren. Dann bedankte er sich bei seiner Mutter und seinen drei Schwestern, die ihn immer unterstützt hatten, und zuletzt bei den Verantwortlichen der GGIF , die ihm das ungeheure Vertrauen schenkten, Nachfolger des großen Maxime Malraux zu werden. Freundlicher Applaus begleitete den jungen Mann, als er rasch den Raum verließ, wo zwei Bodyguards hinter der Tür auf ihn warteten.
»Ob die Fußstapfen seines Vorgängers für Cristobàl zu groß sind, wird sich zeigen«, kommentierte der Moderator den unspektakulären Auftritt des jugendlichen Designers.
Langsam sickerten Einzelheiten über Maxime Malraux durch. Er habe sich auf sein Anwesen in Capri zurückgezogen. Aber nicht allein, begleitet werde er von einem unbekannten jungen Mann, Aziz Al Nadim. Während Raul und Cathérine entlassen wurden, behielt Camilla ihre Stelle als oberste Direktrice, und auch Bérénice bekam das Angebot, weiterhin die Chefin des allerdings sehr verkleinerten Stickateliers zu bleiben. Sie erbat sich Bedenkzeit.
Ihre Gedanken kreisten ausschließlich um Fleurs Brief an Patrice und um Fleur selbst, das junge, naive Mädchen, das nach Paris gekommen war, um berühmt zu werden.
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18
E ine Woche war vergangen. Bérénice schlenderte die Avenue Georges V hinunter und lief weiter bis zum Pont d’Alma. Es war ein schöner Frühlingstag, und sie hatte keine Lust, sofort nach Hause zu fahren, sondern setzte sich auf die Terrasse eines Cafés mit Blick über die Brücke und die Seine bis hinüber zum Eiffelturm. Während sie einen Espresso trank und ihr Gesicht in die warme Sonne hielt, versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen.
Gerade war sie bei einem Anwalt namens Bernard Laval gewesen, der Maxime Malraux seit Jahrzehnten in allen rechtlichen Fragen beriet. Er hatte sie vor ein paar Tagen angerufen, worauf sie zwar verunsichert, gleichzeitig aber überwältigt war: Der Designer hatte ihr seine Gewinnbeteiligung am weltweiten Verkauf der MM -
Parfums
übertragen. Bérénice wusste, dass der Klassiker MM Trois seit Jahrzehnten zu den bestverkauften Parfums der Welt zählte.
»Durch diese Abtretung wird Maxime nicht ärmer«, hatte der Anwalt ihr erklärt. »Aus den Medien wissen Sie sicher, dass sein Privatvermögen weit über einhundert Millionen Dollar beträgt. Also, bitte, keine Skrupel. Er will auch keine Dankbarkeit von Ihnen, er betont, er habe das nicht für Sie und auch nicht für Fleur getan.«
»Für wen dann?«, hatte Bérénice verständnislos gefragt.
»Für sich selbst. Maxime macht alles nur für sich selbst. Er will mit der Vergangenheit abschließen, und dazu gehört für ihn, dass er sein schlechtes Gewissen beruhigt. Das hat er mit dieser Abtretung getan, mehr nicht.«
»Weiß Maxime, dass ich Fleur Déschartes’ Tochter bin?«, hatte sie den Anwalt noch gefragt, als er sie bereits zur Tür seiner luxuriösen Kanzlei brachte.
»Er ahnte es, als er Ihnen das erste Mal gegenüberstand. Er erschrak entsetzlich, wie er mir erzählte, denn mit Ihnen kamen die Geister der Vergangenheit zurück.«
»Wie geht es ihm jetzt?«, hatte sie noch wissen wollen.
»Nun, sagen wir, er leckt auf Capri seine Wunden. Aber er ist ja nicht allein«, hatte Bernard Laval noch ein wenig ironisch hinzugefügt. »Maxime ist hart im Nehmen, glauben Sie mir! Ich wäre nicht erstaunt, wenn er plötzlich wie Phönix aus der Asche aufersteht.«
Auf der Terrasse wurde es kühl, die Sonne verschwand hinter dem Eiffelturm, und Bérénice verließ das Café. Sie fühlte sich noch so schwach auf den Beinen, dass sie ein Taxi heranwinkte und nach Hause fuhr.
In ihrer Wohnung ließ sie sich erschöpft aufs Sofa fallen. Die Krankheit hatte sie mehr geschwächt, als sie gedacht hatte.
Seit sie wusste, dass sie Fleurs Tochter war, versuchte sie vergebens, zur Normalität ihres Lebens zurückzufinden. Denn die gab es nicht mehr. Alles hatte sich verändert. Maxime lebte jetzt auf Capri, ein junger Designer ersetzte ihn, und sie verdiente plötzlich Geld, ohne dafür zu arbeiten. Sie hatte die Wahl, sie konnte den Job als Atelierleiterin annehmen, musste es aber nicht. Paris fühlte sich plötzlich anders an.
Sie hätte glücklich sein
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