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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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erreichen, koste es, was es wolle. Er war ihr Führer dorthin – mehr nicht. Danach würde er den Preis eintreiben. Das wusste sie. Aber noch war es zu früh, an diese Stunde zu denken.
    »Wir reiten weiter«, murmelte sie daher und stieg mit weichen Knien auf ihr Pferd.
    »Aber die Pferde sind müde, wir sollten rasten«, wagte Ruaidrí einzuwenden. Sie wollte ihn nicht einmal anschauen, so groß war ihre Verachtung.
    »Wenn die Dame weiterreiten will, dann reiten wir weiter«, unterbrach der Mórmaer seinen Stiefellecker. Durch den Nebel ihrer Übelkeit drang sein nächster Gedanke zu ihr vor. Desto eher ist sie mein . Das verstärkte ihre Übelkeit nur noch mehr, Nials stille Fürsorge fehlte ihr so sehr … sie schluckte es hinunter. Sie hatte sich entschieden. Nials Leben war gerettet. Ihre Mission für Margaret ebenfalls, wenn Máelsnechtai es sich nicht überraschend anders überlegte. Alles andere durfte keine Rolle mehr spielen.
    Doch hatte sie sich vor zwei Wochen noch verbieten können, an Nial zu denken, so ging das nun nicht mehr. Er war bei ihr, um sie herum, er umhüllte ihr Herz wie ein durchsichtiger Vorhang, in den sie sich verwickelt hatte und dessen Ausgang sie nicht mehr fand. Das Schicksal hatte ihn mit einem seidenen Faden zugenäht …
    Als sie mit Máelsnechtai am Tyne angelangt war, hatten sie Schwierigkeiten gehabt, über den Fluss zu setzen. Es gab nicht mehr viele Menschen in dem ausgebluteten Land, und auch die alte Fährstelle an der Furt, zu der ein ausgetretener Pfad führte, schien verlassen. Zwischen brachliegenden Viehweiden lag ein vor nicht allzu langer Zeit gepflügtes Feld, ein Hinweis darauf, dass sie sich in bewohntem Gebiet befanden. Doch niemand zeigte sich den Reisenden. Offenbar erinnerte der Schotte mit seinem fettigen langen Haar und den in achtloser Arroganz übergeworfenen Fellen, die eines Königs würdig waren, an Zeiten, als von Norden her mehr von seiner Sorte durch das Land gezogen waren und nichts als Verwüstung hinterlassen hatten. Sein finsteres Gesicht und die tiefe, raue Stimme brachten die Menschen dazu, sich zu verbergen, obwohl der Fährverdienst sie doch hätte satt machen können.
    »Es gibt hier eine Fähre – ich habe sie selber benutzt!«, brüllte er am Ufer entlang. Die Menschen waren hier irgendwo, Christina erahnte ihre Gegenwart. Eine reetgedeckte Hütte und zerbrochene Zäune deuteten darauf hin, dass sie hier sogar versuchten zu leben, vielleicht von Fischen und Krebsen aus dem Fluss, oder von den Münzen, die ihnen eine Überfahrt einbrachte, obwohl man Münzen in diesem ausgebluteten Land nicht essen konnte. Niemand konnte Vorräte gegen Münzen tauschen, weil es keine Vorräte gab. Die Feuer der beiden Herrscher hatten selbst die Hoffnung darauf vernichtet.
    In knietiefen Matsch eingesunkene Holzbohlen vor dem Eingang der Hütte bewiesen, dass er von vielen Menschen genutzt wurde. Doch sie trauten sich nicht aus der Deckung, vor lauter Angst, mit dem bisschen Mut gleich auch das Leben zu verlieren, dessen Wert mancherorts auf den Preis einer Brotkante gesunken war.
    »Reitet flussaufwärts, Herr!«, rief schließlich einer. »Flussaufwärts findet Ihr eine Fähre. Wir sind keine Fährleute, wir sind nur arme Fischer!«
    »Kehrt um! Sie töten euch auf der anderen Seite«, rief ein anderer. »Dort wartet ein ganzes Heer auf Leichtsinnige, die den Tyne überqueren. Erst rauben sie euch aus, dann schlagen sie euch die Köpfe ab und hängen die Reste an den Bäumen auf …«
    »Damit kenn ich mich aus, Knilch«, lachte der Mórmaer, »sie dürfen gerne kommen, ich werde sie zu begrüßen wissen, verlass dich drauf. Und du solltest nun aus deinem Versteck kriechen, ich weiß nämlich auch noch, wie man ein Haus in Brand steckt.« Der Spaß war für ihn vorüber, er stieg vom Pferd und zog unmissverständlich sein Schwert, um mit geübten Streichen und ohne große Anstrengung den nächsten Busch einfach klein zu hacken. Dann fegte er den klapprigen Zaun hinweg und näherte sich mit schwingender Waffe der armseligen Hütte. Eine Frau schrie in heller Angst, kleine Kinder tauchten von irgendwoher auf und rannten weinend herum.
    Der Mann verließ sein Versteck und hob um Gnade flehend beide Hände. »Habt Mitleid mit uns, Herr! Habt Mitleid, verschont meine Kinder, ich habe nur ein altes Floß, damit kann ich Euch ans andere Ufer bringen – doch verschont meine Kinder!«
    Máelsnechtai lachte. »Du bist schnell zu überzeugen. Kluger Mann. Ich

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