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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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wegzulocken. Und Máelsnechtai war so begierig auf ihre Gesellschaft, dass ihre List gelang: Er nahm ihren Zügel und führte ihr Pferd, er lobte ihren Sitz und bot ihr sein eigenes Pferd an, und er erzählte, wo er das Tier herhatte und warum er die maurischen Pferde des Normannen so sehr schätzte, dass er sie von ihm stahl.
    »Ihr habt es von ihm gestohlen?«, fragte Christina belustigt. Je weiter Johns Hütte sich von ihnen entfernte, desto gelöster konnte sie seinen amüsanten Geschichten folgen – was blieb ihr auch anderes übrig? Nial war in Sicherheit. Dafür nahm sie sogar die Begleitung des wilden Mórmaer in Kauf.
    »Nun – ich habe es mitgenommen«, witzelte er. »Es stand gesattelt in einem Stall, und es folgte mir willig. Da gerade niemand anders darauf reiten wollte, war es wohl frei.« Seine Braue tanzte. Nicht nur die Geschichte von dem ausgeliehenen Pferd, sondern auch die tanzende Braue erinnerten sie stark an Nial, und zum wiederholten Male fragte sie sich, wie sich zwei so ähnliche Brüder so auf den Tod entzweien konnten.
    »Selbstverständlich werde ich es bei nächster Gelegenheit zurückgeben.« Er grinste. »Ihr solltet wirklich einmal ausprobieren, wie es sich auf dem Pferd eines Königs reitet …«
    Das Reich des Normannenkönigs lag vor ihnen.
    Es gab kein Holzschild, das dieses Reich ankündigte, und keinen hölzernen Schlagbaum, wo ein normannisch gekleideter Söldner Münzen kassierte und den Durchgang erlaubte.
    Stattdessen begrüßte sie der Geruch von verbranntem Holz, von nassgeregneter Asche und von darunter liegender Verwesung. Es war der Geruch der Apokalypse, die einem düsteren Heer lanzenschwingender Flüche gleich über das Land hergefallen war, vor sich eine Wand aus Feuer hergetragen hatte, den verbrannten Boden platt gewalzt und in den Aschefeldern nichts als Schleifspuren hinterlassen hatte.
    Wie der Viehhirte es berichtet hatte: Die Normannen hatten Englands Norden verwüstet. Sie waren dabei fast bis zum Tyne gekommen und hatten kaum eine Wohnstatt ausgelassen. An den lehmigen Resten nagte nun ein eisstarrender, von Osten kommender Regen. Er fraß Löcher in Ruinen und unterhöhlte die Böden so tief, dass nicht einmal die wenigen Tiere, die dem Feuer entkommen waren, sicher waren und sich dort verstecken konnten. Der Fuchs lag schon länger in dem Loch und verbreitete bestialischen Gestank. Kratzspuren im Lehm erzählten davon, wie verzweifelt er versucht hatte, sich zu befreien. An menschlichen Leichen hatten sich Raubtiere gütlich getan – die einzigen Lebewesen, die dem Erobererheer entkommen waren, an den Toten aber rasch den Geschmack verloren hatten. Nur die Raben pickten und hackten weiter in aufweichenden Körpern, für sie spielte die Zeit keine Rolle.
    Es war unmöglich, einen windgeschützten Rastplatz zu finden, wo einem nicht der Atem des Todes ins Gesicht wehte. Der Fahle war aus Christinas Bündel geschlüpft und heerte herum. Doch diesmal hielt Er Abstand. Knurrte sie von Weitem an, bedrohte sie mit dem Speer. Doch nicht einmal Sein Schweif erreichte sie. Du bist mein, du entkommst mir nicht!, brüllte Er ihr in die Ohren. Das Pfeifen im Ohr wurde lauter, übertönte Ihn. Sie machte sich stark gegen Ihn, hielt Ihn von sich, spürte seinen Zorn, weil Er immer weniger Macht über sie hatte. Du entkommst mir nicht!, brauste es über sie hinweg. Niemals entkommst du mir!
    Und rachsüchtig schickte Er klebrigen Gestank, der sich einer Maske gleich auf ihr Gesicht legte und gegen den sie machtlos war … Christina schaffte es gerade noch, vom Pferd zu gleiten, bevor die Übelkeit sie schüttelte wie eine nasse Katze und sie sich ins müde Gras erbrach. Sie hatte ihre Notdurft verrichten wollen, und dem Wind hatte es gefallen, ihr eine ganze Brise von Verwesung ins Gesicht zu wehen. Der Fahle lachte hämisch über Seinen neuen Verbündeten.
    Der Gestank hatte ihnen schon an den letzten beiden Gemäuern, die sie sich für eine Rast ausgeguckt hatten, das Halten unmöglich gemacht. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten, die Erschöpfung forderte allmählich ihren Tribut. Wie weit lag die Schlafkammer von Dunfermline zurück, wie unerreichbar waren Margarets liebevolle Arme, in denen sie die Angst stets hatte vergessen können …
    » Hlæfdige …« Der Mórmaer schaute angeekelt auf die grüne Galle an den Halmen, und sie wusste sofort, dass von ihm weder Mitleid noch Rücksicht zu erwarten war. Es galt nur noch, das Kloster zu

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