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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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will.«
    »Ich brauche keinen Schutz. Ich bin beschützt, und Gott der Allmächtige hält Seine Hand ebenfalls über meine Reise.« Sie hob das Licht und sah ihm ins Gesicht. » Hlæfweard Máelsnechtai – ich brauche Euch nicht.«
    Hinter ihr hielten Leute lautstark den Atem an. Es kannte sie ja niemand, ihnen musste es unglaublich dreist erscheinen, wie sie diesem Edelmann entgegentrat. Nein – es war auch für eine Edelfrau dreist, das musste sie selber zugeben. Doch den Schotten schien das nicht zu stören, dort, wo er herkam, herrschten sicher noch ganz andere Umgangsformen. Christina nutzte die Schrecksekunde der Aussätzigen – sie brauchte nicht länger zu überlegen.
    » Hlæfweard , wenn Ihr mein schwarzes Pferd halten wollt – es ist brav und mir treu ergeben. Ich hole mein Reisebündel.« Er schaute sie beinah verdutzt an, hatte wohl Gegenwehr erwartet oder Tränen, zumindest aber mehr scharfe Worte. Sie verbot sich alles davon, obwohl sie den Mórmaer am liebsten John und seinen Leuten überlassen hätte. Doch all ihre Gedanken kreisten um Nial, nach dem er tatsächlich nicht mehr gefragt hatte. Das sollte so bleiben!
    Ohne zu stolpern, eilte sie durch das Dunkel an den Aussätzigen vorbei, die immer noch im Halbkreis um den ungebetenen Gast herumstanden und nicht recht wussten, ob sie ihn nun vertreiben sollten oder damit irgendwelche einflussreichen Edelleute gegen sich aufbringen würden.
    John beriet sich flüsternd mit einem Dicken; murmelnde Unruhe erfüllte inzwischen das ganze Haus.
    Sie huschte weiter, mit sicheren Schritten, als ob Gott selbst sie durch das Dunkel leitete. Das tat Er wohl, vielleicht rührte Ihn das Schicksal der beiden an – vielleicht waren in diesem Aussätzigenhaus auch alle Regeln außer Kraft gesetzt. Christina fühlte sich jedenfalls durch nichts mehr aufgehalten, als sie neben Nial niedersank. Ihn ansah. Lange ansah. Ihm beide Arme um den Hals schlang. Sich fest an ihn drückte, ihr Gesicht an seinem Hals vergrub, mit den Lippen die dünnen Falten, seinen Haaransatz, seinen Geruch begrüßte. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    Sie hörte seinen Atem, fühlte seine Hände auf ihrem Rücken, in ihrem Haar, leidenschaftlich, doch ratlos, was sie als Nächstes tun sollten, und bevor alles nur noch verwirrender wurde, riss sie sich los, packte das Bündel mit dem Stundenbuch und ihren Umhang und stolperte davon.
    »Ich finde dich!«, rief er ihr leise hinterher.
    Bitte tu das!, schrie sie stumm zurück und betete, dass er verstand, was sie vorhatte und dass er der Grund dafür war und nichts anderes.
    Máelsnechtai hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Die Mauer der Aussätzigen verhinderte, dass er Christina hinterherschauen konnte, und so war ihm entgangen, dass sie nicht nur ihr Bündel aus der Ecke geholt hatte, sondern ihr Herz in der Dunkelheit zurückließ.
    Ruaidrí folgte dem Mórmaer immer noch, und immer noch tat er das stumm und mit dem Blick eines geprügelten Hundes, als er Christinas ansichtig wurde. Er schaffte es nicht einmal, sich zu verbeugen, hielt stattdessen die Pferde und kramte an deren Zaumzeug herum.
    John hielt sie zurück. »Und du … du gehst jetzt mit diesem … diesem …« Ihm fiel kein Wort ein, als er sie mit der Laterne vor das Haus begleitete. Bevor er Nial durch ein unbedachtes Wort verraten konnte, unterbrach sie ihn hastig. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und für den Platz an deinem Feuer. Möge Gott euch allen gnädig sein und eure Qualen verringern, möge Er euch Kraft für das Gebet geben und möge Er – lebt wohl! Ich will in Jarrow für alle beten, die in diesem Haus versammelt sind, hörst du …« Und sie legte ihm zusätzlich die Hand auf den Arm, obwohl sie sich vor dem Mann ekelte und fürchtete – ihre Angst um Nial verlieh ihr den Mut.
    Und John schien ihre Botschaft zu verstehen. Jedenfalls schwieg er und erwähnte den zweiten Pilger mit keinem Wort, obwohl seine Verwunderung offenkundig war. Sie sah, wie er die Hand nach hinten spreizte – ein Zeichen an seine Leute, sich ebenfalls zurückzuhalten.
    Die kleine schwarze Stute hatte sich losgerissen und stand mit hängendem Seil neben dem Eingang. Ruaidrí versuchte es zu fassen, doch sie wusste ihm mit einer einzigen Drehung ihres Kopfes auszuweichen. Ihre klugen Augen hatten Christina erspäht, und brummelnd rief sie sich in Erinnerung, bevor der Mórmaer auf die Idee kommen konnte, seine neue Begleitung auf ein anderes Pferd zu setzen. Christina

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