Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
die Angreifer schon erkannt und drehte sich mit fliegenden Haaren, das Schwert wie eine riesige Klinge von sich gespreizt – und es war hungrig, viel zu lange hatte es in der Scheide gesteckt, und es nahm die beiden einfach in der Mitte, schlitzte den Nichtsahnenden die Leiber auf und fuhr mit dem Schwung seiner Drehung weiter zum Ufer, wo es in der Brust des Nächsten stecken blieb.
Mit einem nicht enden wollenden Schrei stolperte der Mann und fiel dadurch noch tiefer in die Waffe. Es kostete den Schotten einiges an Anstrengung, sie aus der Brust wieder herauszuziehen. Doch die Bewegung, mit der er es tat, verriet, dass er sein Handwerk meisterlich beherrschte. Der Mann fiel schließlich stumm zu Boden. Der Schotte benutzte ihn als Tritt, um den nächsten Angreifer weiter oben zu erwischen. Hoch flogen Máelsnechtais Felle und Haare, und hoch spritzte das Blut aus dem Hals, als der Kopf des Mannes von den Schultern kippte, und färbte den Uferschlamm rot.
Das Geschrei um sie herum wollte kein Ende nehmen. Sterbend lagen sie auf dem Strand, ihre Hände wühlten sich suchend in den Sand, doch dort gab es keine Hilfe … an diesem Ufer herrschte jetzt der Tod. Für den Mórmaer war er kein Unbekannter, der Schotte stürzte brüllend vorwärts, als suchte er nun nach Vergeltung, dabei lagen bis auf den Bogenschützen bereits alle dahingefällt. Máelsnechtai schlug sein Schwert auch in die Sterbenden und drehte sich wie ein Berserker um die eigene Achse, hieb wieder in die Leichen, schlug einen Kopf ab und brüllte – brüllte, dass die Bäume erzitterten und der Himmel sich verdunkelte. Selbst der Fahle, der erregt durch den Sand getrabt war und Sein Werk wohlgefällig betrachtet hatte, zog sich in den Schutz des Waldes zurück.
Krieger wie Máelsnechtai hatte das Land südlich des Tyne lange nicht mehr gesehen, solch blutige Ernte war lange nicht mehr gehalten worden. Und es war noch nicht vorüber. Als Christina sich erhob, viel zu früh, schlug von hinten ein Pfeil in ihren Rücken. Er traf nicht sie. Das Stundenbuch fing ihn ab und hinderte ihn mit der verbliebenen Kraft seiner Gebete daran, auch den zweiten Buchdeckel zu durchbohren. Doch der Stoß warf sie erneut zu Boden. Máelsnechtai schrie weiter, nun in ihre Richtung. Mit triefender Klinge kam er auf sie zugelaufen, obwohl ein weiterer Pfeil ihn beinah getroffen hätte. Er wischte ihn im Flug einfach hinweg.
»Seid Ihr verletzt?«, rief er und stützte die Klinge in den Sand. Rubinrot rann das Blut am blinkenden Metall herab, sickerte gleich neben ihr in den Sand und würde dort vom Flusswasser abgeholt werden, genau wie die Toten oder das, was von ihnen übrig blieb – niemand würde von den Geschehnissen berichten können.
»Nein«, flüsterte sie, was er nicht gehört haben konnte, denn er vergewisserte sich selbst und zog den Pfeil einfach aus ihrem Rücken.
»Der Bogenschütze …«, keuchte sie, »am Waldrand …«
Ohne ein weiteres Wort stapfte er mit seiner tropfenden Waffe auf den Mann zu – breit wie ein Berg und entschlossen wie ein ganzes Heer, und dass ihm Pfeile entgegenflogen, schien ihn nicht zu stören, denn sie verfehlten ihn – alle.
Der Bogenschütze wähnte sich dennoch auf der stärkeren Seite. Ein Fehler, denn auch sein letzter Pfeil verfehlte den Schotten, und dann war es zu spät, um wegzulaufen, zu spät, ihm auszuweichen. Das Schwert sauste durch die Luft und sandte ihm den schnellen Tod. Ohne einen Laut sank der Mann rückwärts ins Gebüsch.
Es war still geworden am Ufer des Tyne.
Nur das Wasser rauschte unvermindert durch sein uraltes Bett. Es war eher da gewesen als die Menschen und der Tod, und seine Totenklage war von gleichgültiger Melodie.
Irgendwo wieherte ein Pferd.
Angst rann wie Feuer durch Christinas Adern. Wie ein Tier war sie gespannt und bereit zur Flucht, für die es keinen Grund mehr gab. Ein Stöhnen ließ sie herumfahren. Ruaidrís Hand stocherte in der Luft herum, stritt sich mit einem unsichtbaren Gegner, ob er den Pfeil umfassen sollte – oder nicht. Seine gespreizten Finger näherten sich dem Holz, zuckten wieder weg, versuchten es wieder, aber das Holz steckte ja fest und würde dort bleiben. Resigniert ließ er die Hand fallen, nur um sie gleich darauf wieder zu heben …
»Allmächtiger Gott …« Christina kroch auf allen vieren zu ihm. Sein Antlitz war so bleich wie der Nebel, der langsam den Fluss heraufzog, der leuchtend rote Bart schien das Gesicht zu überwuchern. Nur die Augen
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