Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
würde ihre Befürchtungen verstehen? Eine Weile lief sie wütend, ratlos, mit sich hadernd herum, verfluchte die Burg und ihr Dasein als Gast ohne Freiheit, verfluchte ihre Einsamkeit unter so vielen Menschen. Der Tag verging, nichts geschah. Der nächste Tag brachte Frieden, ein wenig Sonne, einen Ausflug an den Fluss, weil sie ausnahmsweise einmal kein Sturm ans Haus fesselte – brachte Zerstreuung und Vergessen.
Dankbar nahm Christina es an und behielt ihr Wissen für sich.
In der Frauenkammer würde solches Wissen sowieso kein Gehör finden. Dort versuchte man, sich im neuen Umfeld zurechtzufinden, sich einzurichten, einen Lebensrhythmus zu finden, und zu einem Großteil war das Margarets ruhiger Anwesenheit zu verdanken. Das undamenhaft erworbene Wissen um mögliche Untreue würde da nur für Unruhe sorgen. Vielleicht besannen sich die beiden Earls ja auch, und alles würde gut werden. Stumm beobachtete sie Edgars Anhänger, die beiden Earls, den schmierigen Northumbrier Cospatric, den fetten Merlewein und all die ungestümen Krieger, die mit ihnen nach Schottland geflüchtet waren und denen bisher so wenig geglückt war. Nichts würde gut werden …
Eine Weile hatte sie den Eindruck, dass der König Margarets Gegenwart regelrecht suchte. Und das, obwohl er weitaus wichtigere Geschäfte zu erledigen hatte. Boten kamen aus dem Norden, brachten Kunde von säumigen Zahlern, der Jarl von Orkney reiste an und stritt sich lautstark mit Malcolm über einen Wegezoll und dass sich die Söhne aus Malcolms erster Ehe, die bei ihm erzogen wurden, ungebührlich benahmen, den Weibern nachstellten, wilderten … und immer wieder gab es düstere Nachrichten aus dem Süden, von jenem Normannen, den niemand hier König nannte, weil Malcolm das auch nicht tat.
Er wusste dennoch genau, wann und wo er Christinas Schwester finden konnte, und die Sonne schaute genau zum richtigen Zeitpunkt hinter den ewig grauen Wolken hervor, damit er Margaret auf die Burgmauer bringen konnte, um ihr sein Land zu zeigen oder um sie in dem hohen Gras herumzuführen, das er seinen »Garten« nannte und wo angeblich einmal Blumen geblüht hatten, wie Margaret abends kichernd berichtete.
»Akelei und Rosen«, nickte eins der Weiber. »Die hat noch die Königin gesetzt.« Für die Dienstweiber war »die Königin« immer noch Ingibjörg, die schon seit einem Jahr im Grab lag. Von ihren Rosen indes war nichts mehr zu sehen – vermutlich fanden die Blumen die Festung von Edinburgh genauso unwirtlich und düster wie die weiblichen Gäste des Königs. Dennoch ließ Malcolm in seinem »Garten« einen Platz mit Bärenfellen auslegen und Margaret dort aromatischen Honigwein servieren. Und da ihm sogar das Wetter zu gehorchen schien, saßen sie an einem warmen Plätzchen, und er fragte sie, ob sie glücklich sei.
Margaret hob die zierlichen Brauen. »Da ich nicht unglücklich bin, muss ich wohl glücklich sein«, sagte sie und ließ ihre Stickarbeit sinken. Christina unterdrückte ein Lachen, als sie den Gesichtsausdruck des Schotten sah.
»Ich nehme an … nehme an, es … ähm, es, es gibt etwas dazwischen?«, versuchte er hilflos ein Gespräch anzuknüpfen. »Zwischen unglücklich und … ähm …«
Nun lächelte sie ihn an. Christina weidete sich an seiner Verlegenheit und der tiefen Röte, die sein Gesicht überzog. »Augustinus stellte fest, dass es zwischen Glück und Unglück ebenso wenig ein Mittleres gibt wie zwischen Leben und Tod. Also muss man sich entscheiden – man kann nur leben oder tot sein.« Der Wind spielte mit einer Strähne, die sich aus ihrem Zopf herausgearbeitet hatte, und wehte sie neckisch in Malcolms Richtung. Der hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu ergreifen. Doch das tat er nicht, er starrte sie nur verzaubert an.
»Ihr seid also glücklich, hlæfdige «, sagte er stattdessen und ohne zu stottern.
»Ich lebe, a rìgh «, erwiderte sie leise.
Margaret wusste es stets einzurichten, dass jemand zugegen war, damit sie niemals mit dem Schotten alleine war, der ihr immer deutlicher den Hof zu machen schien. Doch sie wich ihm auch nicht aus. Fast hatte Christina das Gefühl, dass hier Katze und Maus miteinander spielten. Sie erkannte ihre Schwester kaum wieder, und sie konnte auch nicht sagen, wer die Katze und wer die Maus in diesem Spiel war.
Christinas Unruhe wuchs. Sie hasste Edinburgh und alles, was damit zusammenhing.
»Ich finde, du bist undankbar«, wies Agatha sie zurecht. »Reiß dich endlich
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