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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Hof alle über den Schultern trugen, was die Männer zu breitschultrigen Kriegern machte und so manche Frau zu etwas Ähnlichem.
    »Du schenkst mir etwas?«, kicherte Christina. Sie saß auf einem Mauersims und genoss die spärliche Herbstsonne. Eine Katze strich um ihre Beine und drückte sich gegen ihre Hand, um gestreichelt zu werden.
    »Nein, natürlich nicht … Ich meine …« Verwirrt hielt er inne. Galanterie war noch nie Edgars Stärke gewesen, vielleicht war er auch einfach nur zu jung dafür. Aber sie erinnerte sich auch nicht daran, ihn jemals in der Nähe eines Mädchens gesehen zu haben. Seine Liebe hing an seiner Hüfte: das doppelseitige Schwert seines Vaters in der reich verzierten Hülle.
    »Zeig doch mal«, ermunterte sie ihn. Er kramte den Wollberg auseinander und erklärte ihr, dass ein gewisser Máel… – den Rest verstand sie nicht – ihr den Hof machen wolle und ihr dieses kostbare Geschenk überreichen ließ.
    »Das ist Wolle, wie man sie für Männer webt«, erklärte sie und knautschte den steifen Stoff mit ihren schlanken Fingern, »erwartet er, dass eine Dame so etwas trägt?«
    Edgar verzog das Gesicht und fasste nach dem Schal. »Meinst du? Er kommt aus dem Norden, dort tragen die Damen so etwas vielleicht. Soll ich ihn fragen?«
    »Lass das lieber«, lachte sie. »Und stell dir nur vor – da bekomme ich ein Geschenk von einem, den ich gar nicht kenne. Hat der König Margaret etwas geschenkt?«
    »Er … hm.« Edgar starrte vor sich hin. »Glaubst du, er mag sie? Glaubst du, er findet sie schön?«
    »Das ist wohl unübersehbar«, meinte sie amüsiert.
    »Aber er müsste doch mit mir reden. Er müsste mir doch …«
    »Edgar, was tun wir hier?«, unterbrach sie ihn. Mit der Rechten umschlang sie seine noch jugendlich schmale Hüfte und zog ihn neben sich auf den Sims. »Es ist … Edgar, es ist so furchtbar hier. Hören wir auf mit dem närrischen Geschwätz. Es ist furchtbar kalt, dieser Schal ist furchtbar, und die Männer, die uns hinterhergaffen, sind auch furchtbar. Wie lange müssen wir hierbleiben? Denkst du manchmal an Zuhause?« Zuhause. Sein ratloses Gesicht verriet ihr, dass das eine törichte Frage war, weil er sich nicht mehr erinnerte, welches Paradies sie als Kinder verlassen hatten. »Edgar, das hier ist kein Ort für Margaret und mich.«
    »Nein, das ist es nicht«, gab er zu ihrer größten Überraschung zu. »Wir werden bald nach Dunfermline gehen, Stina. Dort wirst du alles haben, was einer Dame zusteht. Dunfermline ist die große Burg des Schottenkönigs, dort soll es euch beiden an nichts fehlen. Das verspreche ich dir.« Er lächelte sein unwiderstehliches Jungmännerlächeln, und sie glaubte ihm diesmal gerne alles, weil gerade die Sonne so friedlich und warm auf ihr Gesicht schien und hellgrüne Fäden in dem ansonsten hässlichen Schal aufleuchten ließ, weil für einen Moment alte, nach süßer Pfefferminze duftende Vertrautheit bei ihnen saß – und weil dieser Moment des Friedens nichts kostete.
    Froh, den gestrengen Blicken ihrer Mutter wieder einmal entronnen zu sein, kletterte sie aus der Nebenpforte in den Hof, wo es immer etwas zu sehen gab – und wenn man sich geschickt verbarg, auch zu hören.
    Der Schmied betrieb dort im Schutz eines Verschlages seine Esse. Hier versammelten sich häufig die Männer, um Nachrichten auszutauschen – die Schmiede war der einzige Ort, wo man außerhalb von Malcolms Reichweite die Entwicklungen im Reich des Eroberers besprechen konnte, ohne bis auf die Haut nass zu werden. Vor allem die angelsächsischen Gäste warteten hier auf Boten, denen sie Neuigkeiten abschwatzten, bevor diese den Saal erreichten und zerredet wurden.
    Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Normannen und Angelsachsen in Yorkshire wollten kein Ende nehmen. Der dänische König Sveyn Estridsen, den die angelsächsischen Rebellen zu Hilfe gerufen hatten und der sich nun ebenfalls Hoffnungen auf die englische Krone machte, hatte sich südlich von York verschanzt. Wilhelm habe ihm Geld angeboten, damit er England verlässt, erzählten sich die Männer. Wilhelm selbst zog mit einem riesigen Heer umher und schlug alles kurz und klein, was sich ihm in den Weg stellte, hieß es. Angeblich hatte er Felder verbrannt und die Ernte vernichtet. Geschichten von erhängten Bauern machten die Runde, von ermordeten Kindern und dass kein Stück Vieh mehr südlich des Tees herumlaufen würde. Bis an den Tyne seien seine Truppen marschiert. Alles nur

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