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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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beteiligen, sie waren schließlich auch nur Männer, deren Bruche viel zu lange zugebunden gewesen waren. Angewidert rief sie sich jenes Gespräch in der Schmiede ins Gedächtnis zurück.
    »Was meinst du, wie lange sie Edgar noch die Treue halten?«, flüsterte Margaret. Die Schwester konnte offenbar Gedanken lesen. Christina biss sich auf die Lippen. Vielleicht war es an der Zeit, über Earl Edwins untreue Äußerungen zu sprechen.
    »Man überlegt, ob es sich noch lohnt«, flüsterte sie zurück. »Man rechnet zwischen ihm und Wilhelm und welche Gefolgschaft einträglicher sein könnte …«
    Zu ihrer größten Überraschung nickte Margaret. »Ich habe auch so etwas gehört. Edgar sollte sich in Acht nehmen. Seine engsten Freunde könnten seine ersten Feinde werden. Wir müssen sehr wachsam sein, Stina.« Und ihre schmale Hand stahl sich zwischen Christinas Röcke und drückte ihr Handgelenk so fest, wie sie es von Margaret gar nicht kannte.
    »Und wenn sie ihn fallen lassen?«
    »Wenn sie ihn fallen lassen, sind wir wieder auf der Flucht, Stina.«
    Noch lange klang dieser Satz in Christinas Ohren nach.
    »Wohin willst du?« Die alte Amme zog sie am Ärmel. »Stina, bleib doch stehen – wohin gehst du?«
    Christina drehte sich um. Die tiefe Sorge in Katalins Gesicht griff an ihr Herz, und sie zog die Amme in die Arme. »Ich will hinunter zum Meer. Ich suche den Mann, der mich aus dem Wasser gezogen hat, Katalin. Komm doch mit.«
    »Mann? Welcher Mann?« Entsetzen breitete sich über das ganze runde Gesicht bis an den Rand der adretten Leinenhaube aus, von der niemand wusste, wie Katalin es anstellte, sie selbst im schmutzigsten Umfeld so sauber zu halten. Christina beschloss, der Amme nicht alles zu erzählen. So lange hatte sie ausgehalten, hatte diesen Plan wie einen kostbaren Schatz mit sich herumgetragen, hatte das unerträgliche Sehnen in ihrer Brust sogar vor ihrer Schwester geheim gehalten – besser, das blieb auch so. Niemand brauchte zu erfahren, wie sich ihr Herz beim Gedanken an Nial zusammenzog. Ohnehin war es höchst skandalös, sich nach einem Mönch zu sehnen. Auch wenn er nicht wie einer aussah. Sie zog sich den Umhang enger um die Schultern, nestelte an der Kapuze. Treffen wollte sie ihn. Ihn sehen. Nur … sehen. Und ihm seinen Mantel zurückgeben, damit er nicht fror. Und damit sie wieder schlafen konnte. Und nicht dauernd an ihn denken musste.
    »Sie nannten ihn culdee , so heißen hier in Schottland die Mönche. Aber er trug keine Mönchstracht, und er wohnt nicht im Kloster. Er hat mich aus dem Wasser gezogen, und ich … ich möchte ihm noch einmal dafür danken.« Sie bemühte sich, ihre Stimme sicher klingen zu lassen – und nicht so zittrig, wie es sich von innen anfühlte. »Weiter nichts.«
    »Du suchst einen …?« Katalins Misstrauen wuchs ganz offensichtlich mit jedem Wort – keinen Moment würde sie Christina aus den Augen lassen, Mönch hin oder her, dazu kannte sie sie viel zu gut. Aber umso besser. Kein schlammverschmierter Schotte würde sich auch nur einen Schritt an der grimmigen Amme vorbeiwagen. Inzwischen hatte sie nämlich richtig Angst vor den Schotten, nicht nur, weil sie ihre Sprache kaum verstand. Die letzten Prügeleien in der Halle hatten die englischen Flüchtlinge gelehrt, dass man hier im Norden anders zählte, dass Nase gegen Nase aufgerechnet wurde – fast wie in der Bibel. Nur dass die Bibel dabei kaum eine Rolle spielte. »Heidnisches Pack«, murmelte Christina. Katalin hatte es gehört.
    »Genau«, gab sie zurück, »Barbaren sind das, nichts als Barbaren.« Und sie hakte Christina unter, wie es sonst niemand wagte. Aber Katalin war nicht nur die Amme der Mädchen, sondern auch ihre Vertraute und beste Freundin, seit sie die ungarische Heimat von Meksnedad vor vielen Jahren verlassen hatten. Und eigentlich hatte Christina vor ihr noch nie ein Geheimnis gehabt …
    Der Torwächter hob seine buschigen Brauen, als er die zwei angelsächsischen Frauen unter den braunen Mänteln erkannte. Die Weiber von Edinburgh sahen anders aus, und jeder bewunderte die beiden schönen Prinzessinnen, die der König sich da aus dem Forth gezogen hatte.
    »Glotz nicht so«, fuhr Katalin den Mann an, was vollkommen überflüssig sein mochte, aber Wirkung zeigte, denn statt eine dumme Bemerkung zu verlieren, hielt er einfach den Mund. Leise kichernd schob die alte Amme Christina durch das Tor und ordnete dabei die Mantelfalten auf ihrer Schulter, wie um zu betonen, dass ihr

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