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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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zusammen, immerhin hast du ein Dach über dem Kopf und kein schlechtes. Der schottische König war sehr großherzig, uns aufzunehmen.« Christina seufzte so leise, dass die Mutter es nicht hörte, und zwang sich, nicht noch weitere Webplättchen im Zorn zu zerdrücken. Die Weberei, die sie in der Klosterschule einst so geliebt hatte, zerrte nun an ihren Nerven. Was sollte nur aus ihnen werden? Nach London konnten sie nicht – weil Edgar sich nach Jahren des Friedens gegen Wilhelm gestellt hatte und kein Æthling bei ihm mehr willkommen war. Auch die Tatsache, dass der Normanne ihnen mit seinen kriegerischen Aktionen in Northumbria jeden Weg versperrte, verursachte ihr Angst.
    Die beschworene »Großherzigkeit« des schottischen Barbaren erschien ihr, je länger sie darüber nachgrübelte, desto deutlicher berechnend, falsch und alles andere als sicher. Niemand hatte sich bisher dazu geäußert, welche Pläne für sie und Margaret bestanden. Es konnte doch nicht Edgars Ernst sein, sie beide in diesem Umfeld zu lassen! Er hatte versprochen, dass sie an den Hof von Dunfermline gehen würden – doch davon redete inzwischen keiner mehr. Vielleicht gab es dieses Dunfermline überhaupt nicht? Die beiden Earls waren wieder in Edgars Nähe gerückt: Nichts in ihrem Verhalten ließ vermuten, dass sie mit dem Gedanken spielten, ihrem Bruder die Gefolgschaft zu kündigen. Auch das Benehmen ihr gegenüber ließ nicht zu wünschen übrig, niemand wagte es, sie eine Zwergin zu nennen. Christina fragte sich ernsthaft, ob sie das hässliche Gespräch in der Schmiede nur geträumt hatte.
    Die begehrlichen Blicke anderer unbeweibter Adeliger unterschieden sich hingegen nicht von denen in London, wo Königin Mathilda immer wieder dafür gesorgt hatte, dass man die heiratsfähigen Æthling-Schwestern nicht vergaß. Hier im Norden fehlte ihr Rückzugsort, die Klosterschule, wo Gebet und Arbeit den Tag unter sich aufgeteilt hatten. Ohne diese Sicherheit im Rücken fühlte Christina sich unbehaglich – geradezu ausgeliefert. Und dann stahl sich zwischen die bewundernden Blicke auch noch das braune Augenpaar eines Mannes, der gar nicht bei ihnen stand und der sie auch gar nicht so hätte anschauen dürfen, weil er ein Mönch war. Ein Mönch am Ufer des Forth. Doch sein warmer Blick umfing sie über alle Grenzen hinweg schützend und tröstend…
    Bei den Männern ging es an diesem Abend hoch her: Gaukler waren in die Festung gekommen. Mit tumben Späßen und schrillen Instrumenten stachelten sie die biertrunkenen Männer zu Gelächter und Gejohle an. Earl Morcar tanzte schließlich auf dem Tisch, und Edgar stopfte sich zwei Äpfel in die Weste, um neben seinem Freund das mannstolle Weib zu geben.
    »Gott sei ihm gnädig, was macht er sich lächerlich«, spuckte Agatha verächtlich, als ein angelsächsischer Ritter aufsprang, ihm mit beiden Händen an den Hintern griff und eindeutige Beckenbewegungen vollführte. Edgar warf die Arme in die Höhe, verdrehte die Augen und stöhnte so lustvoll, dass ein anderer Ritter vor Lachen vom Hocker kippte. Kichernd blieb er liegen, und Edgar hockte sich über ihn und trieb seine Posse unter Gestöhne weiter. »Bei allen Heiligen, was ist in ihn gefahren!« Entsetzt bekreuzigte Agatha sich, als Malcolm vor Lachen prustete und schrie, er habe endlich verstanden, warum der junge Æthling nie nach den Weibern schaue und dass sich für solche Fälle sicher etwas im Sklavenlager finden ließe, man wisse ja, wie hübsch die Jungs des Erobererreichs seien.
    »Ja sicher! Zarte walisische Knaben«, hechelte der Glatzköpfige und klopfte sich wiehernd auf die Schenkel, schließlich wusste jedermann, dass die Waliser breitgebaute Burschen waren, deren Schwänze ausreichten, es drei Weibern auf einmal zu besorgen. An dem schmalen Æthling würden sie bestimmt ihr Vergnügen finden! »Gleich morgen gehen wir auf die Jagd, a rìgh !« Die Idee fanden noch mehr Kerle reizvoll, immerhin gab es im Sklavenlager auch hübsche Angelsächsinnen, die vom König noch nicht verteilt worden waren. Edgar schien so betrunken zu sein, dass ihm entging, welche Späße auf seine Kosten getrieben wurden. Seine angelsächsischen Freunde hielten sich spürbar zurück. Edgar Æthling war trotz allem immer noch ein Thronerbe, da konnte es von Nachteil sein, wenn er sich eines Tages erinnerte, wer sich zu welcher Gelegenheit über ihn lustig gemacht hatte.
    Christina sah das Glitzern in ihren Augen und wie es sie reizte, sich zu

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