Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
behalten«, spuckte der Earl böse, »im Auge behalten und schnellstmöglich verheiraten!«
Sie lachte nur und schleuderte ihren Mantel so heftig herum, dass das Pferd scheute und den Earl beinahe abwarf.
»Mutig bist du, Mädchen«, brummte Katalin da neben ihr. »Bis es dir eines Tages zum Verhängnis wird …«
Christina lachte verächtlich. »Wem – ihm oder mir? Hast du vergessen, wer meinen Bruder in London sitzen ließ, als der Eroberer vor den Toren stand? Wer von einem Tag auf den anderen im Staub vor dem Normannen kroch, in der Hoffnung auf Reichtümer? Wer in …«
»Es reicht!«, zischte es hinter ihr. »Ich verbiete dir solches Geschwätz! Ich verbiete dir fortan, dich in Edgars Angelegenheiten einzumischen, hast du mich verstanden?« Agatha hatte sie von hinten am Arm gepackt und zu sich herumgedreht. Ihr Gesicht war rot vor Ärger und hob sich bedrohlich von ihrem dunkelgrauen Mantel ab. Funkensprühend wanderte ihr Blick über Christinas Gesicht. »Hast du mich verstanden, Tochter? Kein Wort mehr von diesem Unfug!«
»Das war mal nötig«, brummte Katalin und ging einfach an Christina vorbei. Margaret schaute sich nicht einmal um, obwohl sie mitbekommen haben musste, dass Agatha die Schwester zurechtgewiesen hatte.
Im Fährboot straften die Frauen sie damit, dass sie sie neben den Dienerinnen sitzen ließen. Die plapperten und gackerten auf Gälisch; sie waren es ja gewohnt, über den Forth gerudert zu werden, und hatten keine Angst vor dem Wasser. Christinas Ärger verrauchte. In der drangvollen Enge musste man schauen, dass man nicht über Bord ging, wo von unten das Wasser bereits gierig leckte. Die Dienerinnen rochen streng, zwei von ihnen hatten mit ihrem Körpergeruch auch nachts die Schlafkammer verpestet. Zwei Bänke weiter hatte man Pferde angebunden, eins davon scharrte mit dem Huf auf dem Schiffsboden herum, ohne dass es jemand daran hinderte. Was, wenn es ein Loch in den Boden scharrte? Es gab niemanden, mit dem sie ihre Besorgnis teilen konnte. Sie machte sich ganz klein und kauerte sich auf ihrem Platz zusammen.
Das Land entfernte sich, der Wind frischte auf. Nicht einmal an diesem Reisetag brach die Sonne hervor, im Gegenteil, am Horizont zogen sogar schwarze Wolken auf. Niemand hier zeigte Furcht oder betete gar um besseres Wetter oder Gottes Gnade. Diese Schotten schienen das Wetter durch Gleichgültigkeit zu beherrschen – oder sie tranken genug, um es einfach zu vergessen. Christina zog fröstelnd die Schultern hoch. Ihr Herz tat weh über dem Namen, an den zu denken sie sich verboten hatte und den sie jeden Abend vor dem Einschlafen stumm aussprach, wie eine Formel, um dann von ihm zu träumen. Ob er am Strand stand und dem Fährboot hinterherschaute? Ob er wusste, dass sie Edinburgh verlassen hatte? Doch woher sollte er das wissen?
»Er hat sich nach Eurem Befinden erkundigt, hlæfdige «, raunte da jemand hinter ihr. Ruaidrí hockte an der Reling, stets in ihrer Nähe und so dezent, dass sie ihn meist kaum bemerkte. Er lächelte verstohlen. »Ich traf ihn bei den Fischern, er erkannte mich sofort. Er war besorgt um Euch, hlæfdige . Ich sagte ihm, dass Ihr Euch erholt hättet, mehr … wagte ich nicht.« Unsicher sah er sie an und neigte den Kopf. Christina errötete. Sie nickte stumm und faltete die Hände wie zum Gebet, um in Ruhe gelassen zu werden, obwohl ihr innerlich nach allem anderen als Beten war. Doch das brauchte dieser Schotte nicht zu wissen.
Wie sehr ihr Margaret jetzt fehlte! Um der Schwester ihr Herz auszuschütten, Tränen zu vergießen, zusammen zu schweigen und zu wissen, dass ihre Sehnsucht, ihr Schmerz, ach, einfach alles, verstanden wurde …
Doch die saß vorne neben dem König der Schotten, ihr Schleier flatterte im Wind, und sie sah sich nicht nach der Schwester um, als sie auf ihr neues Leben am anderen Ufer des Forth zusteuerte. Genauso wenig wie die Mutter, die mit Katalin die Köpfe zusammensteckte, selbstvergessen über ihren langen Zopf strich und immer wieder nickte. Christina biss sich auf die Lippen. Dass Einsamkeit so schmerzen konnte!
Noch einer beachtete sie auf diesem Schiff – und das mehr, als ihr lieb war.
»Habt Ihr Euch etwa zum Nachdenken zurückgezogen, hlæfdige ?«, fragte Earl Morcar, der sie wohl schon eine ganze Weile beobachtete. »Das steht Euch nicht. Ihr solltet Euch bei Euren Frauen aufhalten. Darf ich Euch nach vorn begleiten?« Er streckte die Hand nach ihr aus. »Die Schwester der zukünftigen Königin
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