Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
schwankte ein wenig, und blass war sie auch, aber sie hielt sich tapfer während dieser kurzen Krönungszeremonie, die von grenzenlosem Jubel rund um die Kirche beendet wurde. Der Choral der Mönche hinter der Tür war kaum noch zu hören und verlor sich zwischen Rufen, Schreien und Pfiffen und unter dem Fußgetrappel der zur wilden Kriegermeute mutierten Kirchenbesucher.
Christina liefen kalte Schauder über den Rücken, während das Hurrageschrei unvorbereitet über sie hereinbrach. Tränen schossen ihr in die Augen, vor Stolz, vor Liebe und vor Ehrfurcht vor dem Mut ihrer schönen, wunderbaren Schwester, die nun nicht nur Ehefrau eines wilden Kriegers, sondern auch Königin dieses rauen Landes war … »Gott schütze dich, Magga, Gott schütze dich allezeit, halte dich in Seiner Hand, Er halte dich fest, Magga …«, schluchzte sie lautlos.
Und dann taten die Leute, wie der König ihnen geheißen hatte: Sie sanken auf die Knie und beugten das Haupt … Schottland hatte eine neue Königin.
»Mein Kind«, weinte Agatha in ihr Tuch, »meine Tochter, meine schöne Tochter … ach, wenn mein geliebter Edward das doch sehen könnte, mein Kind … Allmächtige Jungfrau …«
Christina sah sich vorsichtig um. Nicht jeder hatte den Kopf gebeugt. Edgar kniete aufrecht und starrte die Schwester unverhohlen an. Sie erschrak. War er stolz? Zufrieden mit seinem Werk? Oder gierte er bereits nach den nächsten Schritten? Sie war immer noch Teil seiner Pläne, und es schmerzte, dass ihr Bruder ihr endgültig entglitten war.
Earl Morcar tuschelte ohne Scham mit seinem Bruder Edwin. Beide knieten zwar, jedoch im Schatten eines knorrigen Baumes, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Edwin machte ein missmutiges Gesicht, Morcar gestikulierte, deutete hierhin und dorthin – und schamlos auch auf Christina. Als er gewahr wurde, dass sie ihn beobachtete, verzog sich sein Gesicht zu einem breiten, triumphierenden Grinsen. Du entkommst mir nicht hieß das möglicherweise. Die Stricke um ihre Brust wurden wieder eng, die Luft wurde ihr knapp bei der Erkenntnis, dass sie ihre Ängste niemandem anvertrauen konnte, weil niemand mehr Verständnis dafür haben würde. Und vielleicht hatte Magga ja recht – vielleicht war der Schutz, den die Ehe gewährte, wichtiger als alles andere. Sie betrachtete verstohlen Morcars Gesicht. Bedeutete es wirklich Schutz für sie? Sie fürchtete sich immer mehr vor ihm …
Der Lärm vor der Kathedrale hatte sich etwas gelegt, nachdem Malcolm wieder die Hand gehoben hatte. Sein Schatzmeister bot ihm ein Kissen dar, auf welchem sorgfältig ein schimmerndes Buch gebettet lag.
»Mein Hochzeitsgeschenk für Euch, Liebste.« Er nahm das Buch von dem Kissen herunter und reichte es ihr. »Ich weiß, dass Ihr das Wort des Herrn überaus schätzt. Daran soll auch in Eurem zukünftigen Leben kein Mangel sein. Nehmt dieses Stundenbuch von mir entgegen als erstes Zeichen meiner großen Liebe und Wertschätzung.«
Bischof Fothad versuchte, gegen die Schenkungszeremonie vor Gottes Haus zu protestieren. Seinem Gesicht war deutlich anzusehen, dass die eitle Weltlichkeit, vertreten durch klirrende Waffen und kostbare Geschenke, in seinem Beisein nichts zu suchen hatte und für seinen Geschmack gegen Bescheidenheit und Anstand verstieß. Leider drang er weder mit seiner Stimme noch mit seinen Händen bis zum König vor, und so musste er hilflos zusehen, wie das Geschenk des barbarischen Schotten auch noch bejubelt wurde.
Der goldene, juwelenbesetzte Bucheinband wog nicht wenig, und die Braut sank merklich unter dem Gewicht zusammen, als er es in ihre ausgestreckten Hände legte. Das Kerzenlicht lockte kleine züngelnde Flammen aus den Edelsteinen hervor, ihr Schimmer spiegelte sich wie ein kaltes Echo in Margarets Gesicht wider. Ein Raunen ging durch die Menge – welch erlesenes Geschenk! Begeistert umringten die Edelleute das frisch vermählte Paar, jeder wollte einen Blick auf die Kostbarkeit erhaschen, und Christina musste sich mit beiden Händen dagegen wehren, von ihrer Schwester abgedrängt zu werden.
»Habt Dank, a rìgh , für dieses großzügige Geschenk«, hörte sie die Stimme der neuen Königin. »Ja, mein Herz fühlt große Freude, wenn es das Wort Gottes geschrieben sieht – und in solch köstlicher Umhüllung ist dem Wort wohlgetan.«
Malcolm strahlte. »Ich freue mich, dass ich Euch lächeln sehen darf. Möge mein Geschenk Euch Stunden voller … ähm … Andacht schenken.« Kaum merklich
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