Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
locker zusammengebunden trug. Der Schleier segelte zu Boden, als wollte er sich aus allem heraushalten. »Ja, weißt du denn nicht?«, fragte sie erstaunt.
»Was weiß ich nicht …? Magga … Magga?« Ihr Herz klopfte plötzlich wie wild.
Margaret fasste sie an den Händen. »Alles wird gut, Liebes. Earl Morcar hat bei Edgar um deine Hand angehalten. Uns kann nichts mehr passieren! Welche Dummheiten unser Bruder auch begehen wird, wir beide sind nun in Sicherheit. Wir werden …«
»Earl was? Magga!« Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie setzte sich auf den Kirchenboden – egal, was Gott oder der heilige Boden dazu sagen würden. »Earl …« Um sie drehte sich alles, und dann war der Ton in ihren Ohren wieder da, betäubend laut und seltsam wohltuend, löste er sie von der Wirklichkeit, die sich wie ein schwarzer Schleier über sie zu legen und sie zu ersticken drohte.
»Aber Stina – hat Edgar dir denn nichts gesagt?« Margarets Bestürzung war echt. Sie hockte sich zur Schwester auf den Boden, packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht. »Earl Morcar hat bei Edgar um deine Hand angehalten – und unser Bruder ist einverstanden. Du bist in Sicherheit! Niemand kann uns mehr vertreiben!«
Ihre Verzweiflung kannte keine Grenzen.
Jedermann auf der Burg war schon auf den Beinen, Malcolm hatte die Hochzeit zur Mittagszeit angesetzt, und es gab noch viel zu erledigen. Christina irrte durch die Halle, ohne zu wissen, wen sie eigentlich suchte – die Mutter vielleicht oder Katalin –, irgendjemanden, der ihr sagte, dass sie nur schlecht geträumt hatte, der sie in den Arm nahm und beruhigen konnte. Doch kein bekanntes Gesicht lief ihr über den Weg. Als hätte die Ankündigung einen bösen Zauber über die Burg geworfen, schienen alle Mitglieder des Æthling-Haushaltes wie vom Erdboden verschluckt! Christina drückte sich an die Hallenwand neben dem großen Kamin und schaute furchtsam umher. Dienstboten rannten mit Schemeln und Tischplatten an ihr vorbei, drängten sie noch weiter in die Ecke, blafften sich an, überall diese unfreundliche, breite schottische Zunge und kein verständliches Wort, dazu wehten Gerüche von ungewaschenen, verschwitzten Leibern an ihr vorbei, vermischt mit dem Dunstschwall von den Kochfeuern, und jedes Mal, wenn das Tor zum Hof aufschwang, stank es nach Pferdepisse …
»Sollen wir uns dem freudigen Getümmel anschließen und mit König Malcolm zusammen in die Kathedrale einziehen?« Jemand legte schwer seine Hand auf ihre Schulter und drehte sie um. Morcar schien all seine angelsächsische Erziehung über Bord geworfen zu haben, um seine ehrgeizigen Pläne verwirklichen zu können. »Einen großartigeren Rahmen für eine Hochzeit werdet Ihr nicht mehr bekommen – und für Malcolm wird es eine Ehre sein, gleich zwei Schwestern von hohem Blut an seinen verdammten Hof zu binden.«
»Ich wüsste nicht, was ich mit Euch zu besprechen hätte«, fauchte Christina und versuchte seine Hand abzuschütteln. Die Amme kam ihr zu Hilfe.
»Lasst die junge Dame in Ruhe, hlæfweard , das hat doch Zeit bis nach der Hochzeit, meint Ihr nicht?« Noch niemals hatte Katalin so offen das Wort an einen Edelmann gerichtet, und diesmal schob sie sich sogar schützend vor Christina, als könnte sie damit das Begehren des Earls von ihr fernhalten – wenigstens noch ein Weilchen. Morcar betrachtete die Amme mit finsterem Gesichtsausdruck, ganz offensichtlich kam sie ihm hier in die Quere.
»Findest du wirklich, dass deine Herrin solchen Schutz benötigt?«, fragte er ironisch. »Ein zu klein geratenes, alt gewordenes Mädchen, das sich allein an Stränden herumtreibt und von geilen Mönchen nach Hause tragen lässt?« Seine Stimme troff vor Gehässigkeit. »Solch ein Mädchen kann froh sein, wenn jemand von vornehmer Geburt seine Hand nimmt und es vom Weiberfeuer wegholt, bevor es dort in Vergessenheit gerät. Und der nicht danach fragt, was der geile Mönch …«
»Ich bin sicher, dass Ihr Euren Antrag zur gegebenen Zeit mit mehr Anstand vorzubringen wisst, hlæfweard «, unterbrach Katalin ihn böse. »Und ich bin sicher, dass Ihr Euch dann auch daran erinnert, von welcher Geburt die Schwester Edgar Æthlings ist. Und dass niemand sie von einem Feuer wegholen muss.« Damit legte sie Christina den Arm um die Schultern und lotste sie hinein in das emsige Gewühl der Diener, das zum ersten Mal seit ihrer Anwesenheit in Dunfermline beschützend wirkte. Die Frechheit des Earls tropfte wie eine
Weitere Kostenlose Bücher