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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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schon vor dem Christfest gefordert zu haben. Und weil ihnen eisiger Ostwind den Schnee waagrecht ins Gesicht schleuderte, beeilte der Geistliche sich mit den Gebeten, sprach einen Segen, schlenkerte das Weihrauchgefäß und schickte seinen zitternden Ministranten gleich darauf zurück auf die Burg. Es gab niemanden, mit dem Christina über völvuauga sprechen konnte und darüber, dass jemand auf der Burg mit Gift hantierte … Vielleicht war es auch Einbildung gewesen? Und Katalins Herz hatte nach zu reichhaltiger Speise ausgesetzt? Man ließ Christina nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Agatha stützte sich auf ihren Arm.
    »Was für eine ärmliche Trauergesellschaft für deine alte, weise Freundin aus Kindertagen. Daheim in Ungarn hätte man ihr wohl ein anderes Begräbnis bereitet«, meinte sie bedrückt.
    Christina wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Oder waren es doch Tränen? Trotz des schweren Fellmantels fror sie erbärmlich, und die Kälte kam direkt aus ihrer Seele. Sie hatte sich auf dem weiten Weg von der Kammer zum Gräberfeld in ihr ausgebreitet und saß nun wie ein Eisklotz in der Brust. Mit Katalins Tod war auf brutale Weise die Tür zur Vergangenheit, zu den sonnigen Tagen in Meksnedad und zur kindlichen Unbeschwertheit in der Klosterschule von Wiltham zugeschlagen und mit der düsteren kalten Mauer ihres neuen Lebens verschmolzen. Agatha schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen.
    »Wir werden zehn Kerzen für sie stiften«, sagte sie tröstend. »Gleich morgen werde ich mit dem Priester sprechen. Sie war all die Jahre so ein freundliches Licht für uns. Bitten wir Gott den Allmächtigen, gnädig zu ihrer Seele zu sein.« Das hatte vermutlich der Geistliche schon getan, doch verstand man seine Zunge ja nicht, und ob des Wetters hatte er sich auch sehr beeilt, das Feld zu verlassen. Sie sahen gerade noch seine Kutte um die Ecke der Burgmauer flattern.
    »Er wird auch gnädig zu Margaret sein.« Agatha gähnte verstohlen. Sie hatte die vergangene Nacht in der Kirche zugebracht, um für eine gute Ehe ihrer ältesten Tochter zu beten; man hatte ihr erst am Morgen erzählt, was in der königlichen Kammer geschehen war. Daraufhin war sie zu Margaret geeilt und hatte ihr erklärt, dass die ehelichen Pflichten beim ersten Mal nicht so schlimm seien, wenn man ein Ave-Maria dazu bete. Margaret hatte furchtbar geweint, die Dienerinnen hatten gelacht, und Agatha war in die Kirche zurückgeeilt, um eine weitere Kerze für ihre ängstliche Tochter anzuzünden.
    »Aber Edgar hätte durchaus kommen können«, murmelte Christina. Der Schwester hatten sie nichts von Katalins Tod gesagt, nichts sollte den Ehevollzug jetzt noch stören. Edgar hatte das verfügt und von den Frauen am Mittag unbedingten Gehorsam gefordert. Solche Geheimniskrämerei in der Familie war Christina nicht gewöhnt. Wieder waren sie im Streit auseinandergegangen, doch er hatte sich durchgesetzt. Und zum Grab seiner Amme kam er nicht. Sie schickte ihm einen bösen Gedanken in die Halle, wo Malcolm für den Nachmittag allerlei Lustbarkeiten angesetzt hatte, um seine Gäste zu unterhalten. Vielleicht wollte er auch seine junge Frau zerstreuen, damit sie am Abend endlich bei guter Gesundheit und froher Laune sein Weib werden konnte. Die ganze Burg schien an nichts anderes mehr denken zu können als an den Ehevollzug!
    Eine gute Ausrede daher, das Begräbnis eilig und in aller Stille durchzuführen … hatte Edgar gefunden. Und dennoch gefehlt.
    »Nicht mal für ein Paternoster lang lässt er seine Earls alleine sitzen …«
    »Edgar hat Wichtigeres zu tun, als am Grab einer alten Dienerin zu frieren! Was ist nur mit dir los, Stina? Sind denn alle meine Töchter närrisch geworden?«
    Es war gut, dass Christina ihrer Mutter noch einmal ins Gesicht sah, bevor diese verärgert davonstrebte – es bewahrte sie nämlich davor, sich weiter über die Earls und den Mórmaer zu beschweren und darüber, dass Edgar über sie verfügte wie über eine Kuh … Immer noch erregt über seine Eigenmächtigkeit und seinen Hochmut, starrte sie auf die Schneeschicht, die sich wie eine kalte weiße Decke über die Steine legte. Darunter lag ihre einzige Verbündete.
    Jetzt gab es niemanden mehr, der über sie wachte. Niemanden, der sie beruhigen konnte – niemanden, dessen Weisheit ihr selbst dort noch das Leben erklären konnte, wo es Gott gefiel, Verwirrung zu stiften. Katalin hätte ihr vielleicht nahebringen können, warum es wichtig war, dass sie einen

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