Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
daran lag es nicht.
    Nein, es war dieses Gerücht. Das Gerücht verdarb ihnen den Geschmack. Es lag über der Suppe wie ein Salzkorn zu viel oder wie eine einzige faulige Zutat – man weiß nicht genau, was den Geschmack verdirbt, aber es schmeckt nicht mehr. Natürlich starrten sie alle die Zwergin an. Die zu klein geratene Angelsächsin. Sie kam von den Weiberkammern, sie war die Schwester. Sie musste doch alles wissen …
    Christina spürte die brennende Neugier der Männer, die nicht nur den Nachrichten galt, sondern auch ihrer Person, und sie steuerte auf das Feuer der Angelsachsen zu, beseelt von einem Mut, der neu war. In dieser Nacht schien sie gewachsen zu sein. Vielleicht sogar körperlich, denn niemand ließ laut dumme Bemerkungen fallen, wie es bisher immer der Fall gewesen war. Man saß ruhig beieinander, nicht einmal zotige Lieder erklangen, obwohl ein junger Kerl verträumt auf der Drehleier spielte. Morcar und Edwin hatten die Köpfe zusammengesteckt, Earl Cospatric starrte in die heruntergebrannten Flammen. Die Nachricht, dass König Wilhelm in York eingetroffen war, hob die Laune der Northumbrier auch nicht gerade. Der Mórmaer war in der Halle nirgends zu sehen, stellte sie erleichtert fest.
    »Christina!«, zischte Edgar, als er sie im Dämmerlicht der nur noch glühenden Pechfackeln erkannte. Und statt ihr Vorwürfe zu machen, was sie denn um diese Zeit ohne Begleiterin an den Feuern zu suchen hatte, sprang er auf, packte sie am Ärmel und zog sie auf einen Schemel.
    »Christina. Spann mich nicht auf die Folter! Hat er ihr beigewohnt? Hat er? Hat er die Ehe vollzogen? Ihr Frauen wisst doch alles!«, drängte er. »Was sind das für Gerüchte, was ist mit Margaret? Hat Malcolm die Ehe vollzogen?« Christina wusste nicht, was sie zuerst sagen sollte, ihr Herz war so schwer und voll von den dicht gedrängten Ereignissen, und gleichzeitig machte er sie zornig. Er rüttelte weiter an ihrem Arm, als könnte er aus ihr herausschütteln, was er so dringend zu wissen begehrte. »Verflucht, Stina, sag schon, hat er …«
    Sie riss sich zusammen. Das Traurigste war das Naheliegendste.
    »Edgar – Katalin ist tot. Unsere Katalin ist tot.« Sie suchte seinen Blick, begriff zu spät, dass ihn der Tod der alten Amme nicht sonderlich rührte, weil sein Herz von Machtgelüsten und der Sehnsucht nach einer verlorenen Krone erfüllt war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Edgar starrte sie an. »Und was ist mit Margaret?«, fragte er kopfschüttelnd nach einer kurzen Pause, die vielleicht dem Andenken an Katalin gegolten hatte. Von hinten näherte sich Morcar, schlendernd, fast beiläufig, aber doch mit dem klaren Ziel, ihnen zuzuhören. Seine Gier legte sich wie ein nasser Lappen auf ihren Nacken und tropfte ihr kalt den Rücken herunter. Das weckte endgültig Christinas Widerstand.
    »Und was ist mit dem Earl?«, zischte sie. »Was hast du mit dem Earl ausgemacht? Du verhökerst mich hinter meinem Rücken wie eine Kuh, Edgar …«
    »Unsinn«, blaffte er zurück. »Wenn jemand um deine Hand anhält, muss ich ihm eine Antwort geben …«
    »Du musst mich fragen!«
    »Nichts dergleichen muss ich, liebe Schwester! Du vergisst, wer du bist!«
    »Das weiß ich sehr wohl, Edgar. Ich bin die Schwester der Königin …« Morcar stand hinter ihr, und sie verfluchte sich, dass ausgerechnet er ihre Worte mithören konnte – genau das hatte ja seine Begehrlichkeit geweckt. Und die des Mórmaer. Mit Macht verbot sie sich, einen Blick durch die nächtliche Halle zu schicken. Gott allein wusste, wer sich seit der Zeremonie in der Kathedrale noch nach ihrer vornehmen Hand reckte …
    Sie war keine Kuh. Und schon gar nicht die Kuh ihres kleinen Bruders. Und als sie bei diesen lästerlichen Gedanken nicht etwa Gottes rächende Faust traf, sondern alles so blieb, wie es war, durchströmte nie gekannter Mut ihre erschöpften Adern. Es war, als hätte jemand ihren Gürtel gelockert und ihr einen schweren Mantel von den Schultern genommen. Obwohl sie im Gespinst der Heiratsgelüste festhing, begann sie eine seltsame Freiheit zu fühlen, die von ihrem Kopf ausging und sich als warmer Hauch in ihrer Brust ausbreitete. Wie von selbst löste sich ihr geflochtener Zopf. Die Locken fielen ihr um die Schultern, hielten sie, schützten sie – stärkten sie. Der Rücken befreite sich, das Atmen fiel ihr auf einmal leicht.
    »Du musst mich zuerst fragen, Edgar.« Damit stand sie auf.
    Cospatric betrachtete sie schon eine ganze Weile mit

Weitere Kostenlose Bücher