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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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legt Euch hin und schlaft, so viel Ihr könnt – wir sollten verschwinden, bevor dieser … Kerl aus seinen Träumen erwacht.« Sie betrachtete ihn prüfend. Dann nahm sie ihm die rauchende Knolle und den Kräuterbeutel aus den Händen und steckte beides grinsend in ihre Tasche.
    Es war zwecklos, sie eine Diebin oder ein lüsternes Weib zu nennen. Sie war … Christina fiel kein Wort ein, das schlimm genug war, um Beth, die Mörderin, zu beschreiben. Im Kloster hatte es Menschen wie sie nicht gegeben, man hatte nur für sie gebetet, manchmal, weil sie den Nonnen Geld dafür gaben. Für die Sünder zu beten war eine heilige Pflicht gewesen – aber einen wirklichen Todsünder hatte Christina noch nie getroffen. Als sie nach Edgars unüberlegtem Handeln in London auf die Flucht gehen mussten, hatte die Mutter es übernommen, sie vor hässlichen Dingen zu beschützen.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben war Christina hier nun einem Menschen ausgeliefert, mit dem nach Berichten der Nonnen der Boden der Hölle gepflastert war. Wie konnte so jemand gleichzeitig warm und freundlich sein? War das Teil der Falschheit, die den Todsünder auszeichnete? Aber sie war ja auf Beth angewiesen, und sie fürchtete sich davor, dass ihr Unmut irgendwann sie selbst treffen würde. Stumm wickelte sie sich in die Leinendecke und türmte Berwins erlesene Felle wie eine kleine Festung um sich herum auf. Offenbar liebte der Pelzkrämer es, sein eigenes Heim mit den feinsten Fellen auszustatten, denn sie erkannte unter den Fellmassen auch Hermelinschwänze, die Königen vorbehalten waren.
    Welche Lust, sich in die weichen Berge zu schmiegen und sich nur einen Moment lang der Vorstellung hinzugeben, alles sei in rechter Ordnung und sie in Sicherheit. Mit dem knisternden Feuer im Hintergrund war dieser Traum ganz einfach. Das Buch lag neben ihr, verborgen unter dem Leinenbeutel, ein Psalmbuch wie hundert andere. Nichts deutete darauf hin, wie gefährlich es zu sein vorgab …
    Dennoch, obwohl sie vom Laufen so erschöpft war, dass sie ihre Beine kaum noch spürte, floh Christina der Schlaf. Ihr Geist kam einfach nicht zur Ruhe, trudelte wie ein Irrlicht umher. Ihre Augen konnten sich nicht schließen, grasten jeden Winkel im dämmerigen Haus ab, wanderten an den Wänden entlang, herunter auf den Boden, hinüber zum Feuer … Christina drehte sich auf die Seite und starrte in die Flammen.
    » Quia factus es spes mea «, flüsterte sie. » Quia factus es spes mea … « Weiter kam sie nicht, denn wie am Ufer des Forth teilten sich die Flammen nur für ihre Augen. Eine unsichtbare Hand zog sie wie Vorhänge auseinander und sorgte dafür, dass nichts den Blick verstellte – auf den erleuchteten Altarraum einer Kirche, wo eine Frau zuckend am Boden lag, während jemand mit wütenden Schritten um sie herumwanderte und mit einem Stock auf dem Boden herumklopfte. Sie hörte Geschrei, aber keine Worte. Nur Geschrei … »Nein«, flüsterte Christina. Ihre Hand erreichte die Flammen. Erst als das Feuer ihre Haut verbrannte, spürte sie den Schmerz bis in den Knochen und zog die Hand zurück. Das Bild im Feuer war verschwunden, doch hatte es sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. In stummem Schmerz rollte sie sich zusammen, versenkte sich in den säuselnden Ton, der sich in ihren Ohren kringelte und sie tröstend davontrug, vorbei an Beths Schnarchen, dem Rascheln des Viehs und dem Knistern der Flammen …
    Sie musste wohl eingeschlafen sein. Wohltuende Wärme streichelte ihre Haut, nichts plagte ihre Gedanken in jenen verzauberten Momenten zwischen Schlummer und dem Aufwachen … nichts – bis der Geruch in ihre Nase stieg. Träge bewegte sich das Bewusstsein, nahm den Geruch, betrachtete ihn von allen Seiten, überlegte, wie er wohl hierherkam und wie man ihn wieder loswurde …
    »Wusste ich doch, dass sich hier ein weißes Täubchen versteckt«, grunzte Berwin und raubte ihr die Behaglichkeit. Seine Faust grapschte nach dem obersten Fell, riss es von ihr weg und warf es hinter sich. »Oh, das Täubchen weiß, was gut ist«, lachte er über ihren stummen Versuch, ihn daran zu hindern, auch die aneinandergesäumten Schneefuchsfelle von ihr herunterzuziehen. »Ich weiß noch was Besseres, Täubchen, bleib du mal hier bei Berwin und lass dir zeigen, was man unter Fellen tut, lass es dir zeigen – verdammte Hure, lass es dir zeigen, halt doch still! Verflucht, halt still!«
    Er war jetzt über ihr wie eine riesige schwarze Welle. Kein Fell schützte sie mehr

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