Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
beeilte sich, den halben Mond mit finsteren Wolken zu verdecken, damit sie nicht sehen konnte, dass sie das Haus eines Pelzhändlers betrat.
Drinnen roch es nach einem Feuer aus Tannenholz; zischendes Harz verbreitete seinen Duft in jeden Winkel. Christina hatte schon fast vergessen, wie tröstlich sich das Knacken und Flüstern einer Feuerstelle anhören konnte! Über dem Feuer in der Mitte des kleinen Hauses, in welchem sich außer dem Bewohner noch ein paar Ziegen und eine Kuh hinter halbhoher Wand im raschelnden Laub drängten, hing ein verbeulter Kessel. Feine Kochwölkchen stiegen empor, pusteten verspielt Essensgerüche in alle Richtungen – Rüben, Hafer, fettiges Fleisch. Freundlich fingerten die Wölkchen nach Christinas Nase und verabredeten sich, den durchdringenden Viehgeruch zu überdecken, als ahnten sie, dass vornehme Damen es nicht gewohnt waren, ihre Mahlzeit mit dem Vieh einzunehmen.
»Setzt euch, setzt euch, Reisende«, schnarrte der Mann und hängte sein Licht an einen Haken, wo es aufgeregt schaukelte und kaum zur Ruhe kam.
»Hat dein Weib Decken für uns?«, fragte Beth. »Die Kleider sollten bis zum Morgengrauen am Feuer wohl trocknen – sie könnte uns behilflich sein.«
»Auf Berwins Holt gibt es keine Herrin«, keckerte der Mann. »Ihr müsst mit meiner Hilfe vorliebnehmen.«
Beth betrachtete ihn von oben bis unten. Warnend grub sich ihre Linke in Christinas Arm – schweigt bloß, hieß das. »Dafür, dass es keine Herrin auf deinem Hof gibt, riecht der Inhalt deines Kessels aber verlockend. Gib uns trockene Decken und eine Schale aus dem Kessel, und ich will dir deine Füße salben und nach deinen Warzen sehen.«
Berwin erwiderte dreist ihren prüfenden Blick, ließ seine Augen über ihre weiblichen Formen wandern, herab zu den großen Füßen und wieder hinauf zu den Brüsten, die sich unter dem durchnässten Kleid abzeichneten. Den nassen Mantel hatte Beth sich schon von den Schultern gezogen, und als er endlich auf die mit ziemlich kostbaren Fellen bedeckte Schlafbank wies, nickte sie heftig und hängte den Mantel über den verwaisten Webrahmen. Berwin schlurfte zur Truhe und kramte zwei irdene Näpfe aus dem hausfrauenlosen Durcheinander aus Scherben, halb zertrümmerten Schüsseln und benutzbarem Essgeschirr.
»Sie starb im letzten Winter«, brummte er, »und hinterließ mir nichts als Unordnung, die alte Hexe. Und ihre verdammten Söhne haben die Kerle aufgeknüpft, weil sie ihr Maul nicht halten konnten, als der König vorüberzog. Sie beschwerten sich, dass die Felder zertrampelt würden – hat man je schon mal so was Dummes gehört? Keine zwei Ave-Marias später baumelten sie am Ast und konnten sich gegenseitig Gute Nacht sagen. Narren, verdammte …« Berwin hegte offenbar keine großen Gefühle für die Söhne seiner Verblichenen.
»Wohl dem, der in diesen Zeiten sein Maul zu halten weiß«, wagte Beth daher auch zu sagen und nahm dankend den Suppennapf an. In Windeseile hatte sie sich ihrer nassen Kleider entledigt und ihren massigen Körper in die Decken gewickelt, die auf dem Bett herumlagen. Christina verzog sich auf einen Fingerzeig von ihr in die dunkle Ecke des Lagers, wo sie sich hastig aus Röcken und Hemden schälte und unter die Felle kuschelte. Ihre Füße brannten, obwohl sie immer noch eiskalt waren, und auch die Dornenkratzer im Gesicht bissen nun richtig zu, doch sie wagte nicht, näher an die Feuerstelle zu rücken, aus Angst, Berwins Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn Beth sie warnte, still zu sein, dann hatte das sicher seine Gründe …
Doch es war schon zu spät. Berwin hatte ihr blondes Haar entdeckt, das ihr nun, von der Kapuze befreit und vom Feuer neugierig illuminiert, über die Schultern floss. Am Ufer des Forth hatte sie nicht mehr daran gedacht, einen Zopf zu flechten. Für einen kurzen Moment fühlte sie Nials Hände darin, als sie so dicht beieinandergehockt hatten – ja, er hatte seine Finger tief darin vergraben … Ihr lief ein Schauder über Kopf und Rücken, und errötend drehte sie das Haar rasch zu einem Knoten zusammen.
»Du da. Komm näher. Nimm dir Felle, da liegen genug, aber komm näher. Du hast mir gar nicht gesagt, dass du eine so hübsche Begleitung mitgebracht hast, Frau. Lass dich doch mal anschauen.« Berwin zog eine Knolle aus der Tasche, in die ein langer Stiel gesteckt war. In der Knolle befand sich eine schwarze Höhlung. Einem Beutel entnahm er trockene Blätter und stopfte sie in das Loch. Dann entzündete er
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