Die Stunde Der Toechter
nach der Zigarettenpackung, steckte sich zwei in den Mund, zündete beide an und reichte ihr eine. »Also gut, Jo. Schieß los.«
Sie nahm einen tiefen Zug.
»Aus dieser Perspektive siehst du übrigens fantastisch aus!«
Sie trat ihn mit einem Fuß in den Bauch.
»Okay, okay. Papa Freud ist für dich da.«
Johanna blies den Rauch in den Himmel. Dieser war mittlerweile tiefrot. »Wenn ich gegen jemanden ermittle, dem ich viel verdanke und dessen Tochter mir sehr nahegestanden hat, bin ich dann eine Verräterin?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Camenzind legte ihr eine Hand auf den Bauch. Er nahm sich Zeit für seine Antwort. »Ob du ein guter oder ein schlechter Mensch bist, bemisst sich allein an dir, Jo, nicht an anderen Leuten.«
Johanna saugte an ihrer Zigarette und schwieg.
»Nehmen wir an, du würdest gegen mich ermitteln. Wegen Steuerhinterziehung.« Hastig versuchte er ein Grinsen, wurde aber sofort wieder ernsthaft. »Aus meiner Perspektive wärst du eine Verräterin. Völlig klar. Eine üble Eule.« Er blies ihr den Rauch ins Gesicht, sodass sie husten musste. »Aber betrachte das Ganze aus deinem Blickwinkel! Du bist Polizistin! Du hast dich entschieden, auf welcher Seite du stehst, als du diesen albernen Schwur geleistet hast. Es tut mir leid, Jo, aber du bist gefangen.« Er gab ihr einen feuchten Kuss auf den Bauchnabel. »In deinem Job gibt es Schwarz und Weiß, Jo, keine Zwischentöne. Normalsterbliche Beliebigkeit hat keinen Platz. Wenn du dies ändern willst, musst du deine Uniform an den Nagel hängen.« Er machte eine theatralische Pause. »Nebenbei gesagt, siehst du nackt besser aus.« Als sie zu einem weiteren Stoß ausholte, hob er seine Hände zur Abwehr. »Die Frage ist nur, ob du dann glücklich wärst?«
Camenzind steckte seine Kippe in den linken Mundwinkel, verschränkte seine Arme und schaute sie auffordernd an.
Eine Weile blieb Johanna regungslos liegen. Kurz bevor sie sich die Lippen verbrannte, spuckte sie ihre Zigarette aus. Dann setzte sie sich auf, nahm Andrea Camenzind seinen Stummel aus dem Mund und küsste ihn. Lange und intensiv, bis er nach Luft schnappte.
»Hinterziehst du Steuern, Camenzind?«
Er wagte ein Grinsen. »Ach komm, Jo. Als Kleinunternehmer muss man Steuern hinterziehen. Sonst ist man gesellschaftlich erledigt.«
Er strich ihr übers Haar und küsste sie auf die Augen. Langsam ließ sich Johanna auf den Rücken sinken. Sie konnte es kaum erwarten, dass er einen Pariser aus seiner Jacke hervorkramte und die Hülle mit den Zähnen aufriss. Das sah unglaublich sexy aus.
11.
»Wurdest du auf mich angesetzt, Johanna?«
Bernhard Stämpfli kaute auf seinem Wiener Schnitzel herum, als wollte er es dafür bestrafen, dass es zwar gut schmeckte, aber nicht hervorragend. Nichts Geringeres war er bereit zu akzeptieren. Immerhin aßen sie in der Kronenhalle zu Mittag. Der Kellner hatte Stämpflis Beschwerde höflich entgegengenommen.
Johanna di Napoli war das erste Mal hier. Bernhard Stämpfli hatte sie eingeladen, als sie ihn am Morgen angerufen hatte. Seine Nummer hatte ihr Tamara gegeben.
Am Tisch gegenüber saß eine Rentnerpaar. Wie verliebte Halbwüchsige blickten sich die beiden an. Die Frau hatte dichte, schlohweiße Haare und ein kantiges Gesicht. Sie hatten Händchen gehalten, bis der Mann aufgestanden und mit unsicherem Schritt hinausgegangen war. Soeben kam er zurück. Sein Rücken war stark gebeugt. Als er sich wieder setzte, strich er der Frau sanft über die Wange. Sie lächelte und ergriff seine Hand.
»Handeln Sie mit gestohlener Kunst aus dem Irak, Herr Stämpfli?«
Ihr Gegenüber hielt inne. Mit der Serviette tupfte er sich vorsichtig die Mundwinkel ab. Über seiner linken Schläfe klebte ein frisches Pflaster. An Hals und Wange waren Schrammen sichtbar. Die Hand war nicht mehr verbunden.
»Ach komm, Johanna. Hör mit dem Sie auf. Das klingt wie in der Schule. Du bist erwachsen.« Er nahm einen Schluck Wein und betrachtete sie. »Seit gut zwanzig Jahren.« Schmunzelnd stellte er das Glas ab. »Tam und du, ihr wart ziemlich frühreif.« Er zwinkerte ihr zu und widmete sich wieder seinem Schnitzel.
Johanna fand ihres fein. Und die Fritten erst. Sie aßen schweigend weiter. Mit rhetorischem Schachspiel war bei Stämpfli nichts auszurichten. Das beherrschte er perfekt. Solche Situationen hatte er tausendmal erlebt. Und überlebt. Das Dumme war, dass sie keine Ahnung hatte, wie sonst etwas aus ihm herauszukriegen war.
»Sagen
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