Die Stunde Der Toechter
Abendlektüre. Es waren nur wenige Bände. Dafür hatte Johanna zu allen eine persönliche Beziehung. Sie fuhr mit den Fingern über einen Buchrücken und lächelte. Was war sie doch für ein sentimentaler Mensch.
Das Telefon lag irgendwo im Wohnzimmer. Auf dem Couchtischchen stand ein verdorrter Blumenstrauß. Daneben eine halb leere Colaflasche. Beim besten Willen konnte sie sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal so etwas getrunken hatte.
Der Anrufer gab auf, kurz bevor sie das Handy unter einem Stapel Unterwäsche hervorklaubte. Es war Stämpflis Nummer. Johanna setzte sich auf das Sofa. Die Beine untergeschlagen.
Bernhard Stämpfli antwortete nach dem zweiten Klingeln. »Johanna! Schön, dass du mich anrufst. Ich muss dich sprechen. Wo bist du jetzt?«
»Zu Hause. Ich wollte mir einen ruhigen Abend machen.«
»Aha. Und wo ist dein Zuhause?« Er klang atemlos.
»In Oerlikon.«
»Wir treffen uns auf der offenen Rennbahn. In einer halben Stunde.«
Johanna seufzte. »Also gut. Bis später.«
Stämpfli hatte bereits aufgehängt. Der Mann dramatisierte. Doch das durfte man sich wohl herausnehmen, wenn man von Mafiakillern entführt worden war.
Johanna stand auf und ging ins Schlafzimmer. Sie betrachtete ihren Kleiderständer. Schließlich streifte sie sich ein T-Shirt über und zog ein paar frische Jeans an. Danach holte sie Dienstmarke und Waffe aus dem Schrank. Ihrem Verständnis nach war das eine berufliche Angelegenheit. Kein privates Stelldichein. Sie schnallte das Schulterholster um und zog eine Kapuzenjacke an. Danach ging sie aus dem Haus und startete die Vespa.
In zehn Minuten war sie an der Rennbahn. Es war ein filmreifer Treffpunkt. Das musste sie einräumen. Auf der Strecke trainierten zwei Radfahrer. Ansonsten war nichts los. Die Rennen fanden immer Dienstagabend statt. Dafür war sie einen Tag zu früh. Sie setzte sich in eine der hinteren Reihen auf der Zuschauertribüne. Die Situation schrie nach einer Zigarette. Entspannt steckte sie sich eine in den Mund und schaute zu, wie die beiden Radler ihre Runden drehten. Ein laues Lüftchen linderte die Sommerhitze.
Als Bernhard Stämpfli kam, fuhren bereits drei Velofahrer im Kreis herum. Stämpfli winkte von Weitem. Keuchend setzte er sich neben Johanna. Dann schaute er sich um.
»Es ist noch so wie früher. Ich habe in Zürich studiert. Da kam ich ab und zu hierher.« Er blickte Johanna an. »Tamara hat mir gesagt, dass ihr ein Wochenende im Bündnerland verbracht habt?«
Johanna nickte. »Tamara hat ein Cabrio gemietet. Damit hat sie den Bergpreis gewonnen.«
Stämpfli lächelte und legte seine rechte Hand auf Johannas Unterarm. »Solche Wochenenden tun ihr gut, Johanna.« Daraufhin ließ er sie wieder los und lehnte sich zurück.
»Spätestens morgen hätte ich dich ebenfalls angerufen, Bernhard.« Johanna hatte lange genug den kreisenden Fahrrädern zugeschaut. »Was du mir über Bogdanow erzählt hast, stinkt.«
Stämpfli schaute sie an. Nicht sonderlich überrascht, eher amüsiert.
»Ich habe einiges über den Mann rausgefunden. Dass er ein passionierter Sammler von Antiken wäre, gehört nicht dazu.«
Stämpfli schmunzelte. »Illegale Kunst zu sammeln, ist eine stille Leidenschaft. Das steht in keiner Illustrierten.« Einen Moment lang ließ er sich von der Rennbahn ablenken. Dann wandte er sich wieder Johanna zu. »Aber ich kann es dir beweisen. Deshalb habe ich dich angerufen.« Er schaute sie triumphierend an. »Alles, was du tun musst, ist seine Wohnung zu durchsuchen. Dort wirst du ein Objekt finden, das vor zwei Jahren in Bagdad gestohlen worden ist.«
Johanna blieb skeptisch. Stämpfli wirkte eine Spur zu überzeugt. »Woher weißt du das? Hast du es ihm ins Nest gelegt, Bernhard?«
Er fuchtelte mit den Händen. »Wo denkst du hin! Bin ich James Bond? Ich habe nichts damit zu tun. Aber ich bin sicher, dass ihr etwas bei ihm finden werdet. Hundertprozentig.«
»Ist es eins von deinen Objekten? Wurde es dir bei der Entführung gestohlen?«
Er hob seine Arme und zeigte ihr zwei fein gezeichnete Handflächen. »Ich habe gesagt, dass ich keine Aussagen machen werde, die mich belasten könnten. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich aber, dass Bogdanow im Besitz eines Zylindersiegels aus dem irakischen Nationalmuseum ist. Das muss dir reichen. Weißt du, wie ein solches Siegel aussieht, Johanna?«
Sie nickte.
»Das ist ein kleines Stück, das sich gut verstecken lässt. Ihr müsst euch also Mühe geben.«
»Hast du
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