Die Stunde der toten Augen
stiebte der Schnee, den die Ketten hochwarfen. In dem Nebel von aufgewirbeltem Schnee erkannte Puhlwitz die kleinen braunen Gestalten, die hinter dem Turm hockten. Er bekam es fertig, die Visiere der beiden Panzerfäuste ordnungsgemäß hochzuklappen. Als er aufblickte, rollte der Panzer bereits zwischen den sowjetischen Schützenlöchern, und aus dem Wald brachen die anderen hervor. Die Motoren kreischten. In das Geblubber der Auspuffrohre mischte sich das Gewehrfeuer. Dann zuckte aus der Kanone des Führungspanzers der erste lange gelblichblaue Feuerstrahl, und die Granate fauchte heran. So breit, wie sich der Wald drüben dehnte, war die Kette der Panzer. Und aus den Kanonen aller dieser Panzer zuckten im gleichen Augenblick die Mündungsflammen. Die Panzer mochten fünfzig oder sechzig Meter entfernt sein, als Puhlwitz sich aufrichtete und eine Panzerfaust abschoß. Er schoß nur die eine ab, denn als ihr Geschoß neben dem Führungspanzer in den Schnee fiel und sich ein paarmal überschlug, zuckte aus der Kanone dieses Panzers die Granate, die Puhlwitz eine halbe Sekunde später tötete.
Bindig hockte neben dem Telefonisten und hämmerte mit den Fäusten auf den Tisch, auf dem die drei Apparate standen. Er war so, wie er vom Übungsgelände weggelaufen war, in der durchnäßten Kombination, den Stahlhelm auf dem Kopf und die Maschinenpistole quer über der Brust.
Der Telefonist zündete sich mit Bedacht eine neue Zigarette an. Das Streichholz ausblasend, sagte er zu Bindig: „Schlechte Aussichten. Wenn sich ein Haufen so lange nicht meldet, ist irgendetwas faul. Du mußt dich schon gedulden, bis die Vermittlung wiederkommt..."
Es war Abend. Am Nachmittag hatte Bindig erfahren, daß vor Haselgarten ein massierter Angriff stattgefunden hatte. Kein Mensch konnte ihm sagen, wie die Lage war. Sie hatten ihre Übung abgeschlossen. Diese Nacht war der Abflug vorgesehen. Aber Bindig war mit keinem Gedanken bei dem Einsatz, der ihm bevorstand und der ganz ohne Zweifel ein Himmelfahrtskommando war. Er dachte nur noch an Anna.
„Los!" forderte er den Telefonisten ungeduldig auf, „ruf die Vermittlung noch mal. Die müssen doch wissen, was los ist!"
Der Telefonist war ein langweiliger, unlustiger Gefreiter. Er zog an seiner Zigarette und sagte: „Gleich. Aber nicht so schnell hintereinander. Die schnauzen mich sonst an. Vielleicht ist deine Frau längst evakuiert."
„Wer soll sie wohl evakuieren!" fuhr Bindig ihn an. „Du hast vermutlich noch keinen russischen Angriff erlebt, Das Dorf liegt einen Katzensprung von der Front entfernt."
„Lag!" sagte der Gefreite. „Schon blöd von deiner Frau, sich so nahe bei der Front hinzusetzen. Meine sitzt in Bayern. Da wissen sie überhaupt noch nicht, daß Krieg ist."
Bindig wollte etwas sagen, aber in diesem Augenblick klingelte es in einem der Telefonkästen, und der Telefonist schob die Kopfhörer über die Ohren.
„Schwalbenschwanz", sagte er in die Muschel, die an einem Riemen auf seiner Brust hing, „wo bleibt Siebenschläfer? Kommt? Ich küsse deine Hand, Liebling!" Er machte eine linkische Verbeugung vor dem Mädchen, das durch den Draht sprach. Dann hielt er die Hand über die Muschel und sagte zu Bindig: „Jetzt ist's soweit. Habt ihr eigentlich eure Schokolade schon bekommen?"
Aus dem Kopfhörer kam eine ferne Stimme. Dann ein Knacken, und dann war die Stimme lauter. Der Telefonist konnte sie gut verstehen und fragte: „Siebenschläfer? Hier Schwalbenschwanz. Ich bitte Sie um Auskunft über den Angriff von heute morgen."
Er betätigte schnell einen Knopf an einem der anderen Apparate und deutete auf ein Paar Kopfhörer, die daneben auf dem Tisch lagen. Bindig nahm sie hoch, aber er hatte den Stahlhelm auf, und das merkte er erst jetzt, als er den Bügel der Kopfhörer überstreifen wollte. Mit einer hastigen Bewegung riß er den Helm vom Kopf und warf ihn hinter sich. Dann kam die Stimme so deutlich durch den Draht, als wäre sie nur ein paar Häuser weit entfernt.
„Meine Auskunft ist nicht sehr umfassend, Kamerad. Es ist bisher nur wenig bekannt. Der Angriff begann im Morgengrauen. Eine halbe Stunde Feuer, dann Panzer und Infanterie. Die Panzer sind ziemlich weit durchgebrochen, haben sich aber gegen Mittag bis Haselgarten zurückgezogen. Dort wird noch gekämpft. Soviel bekannt ist, haben wir noch Stützpunkte im Dorf. Noch Fragen?"
„Frag ihn, ob jemand evakuiert wurde!" verlangt Bindig hastig.
Der Telefonist stäubte die Asche von der
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