Die Stunde der toten Augen
Schwung in einen Lastwagen entleerte.
Bindig hastete um das Haus herum und versuchte irgendetwas zu entdecken, was darauf hinwies, daß Sabine noch lebte. Er sah, daß eine Sprengbombe das Haus vom Boden bis zum Keller durchschlagen hatte, ohne zu krepieren. Ihre Hülle lag in dem dunklen Kellerraum. Es war ein Ausbläser gewesen. Sie war unten aufgeschlagen, und anstatt zu explodieren, war die Ladung schnell und mit großer Hitze verbrannt. „Das gibt's auch", sagte einer der Pioniere gleichmütig, als er Bindig herumlaufen sah, „spar dir die Mühe, Kamerad, die Leute sind verbrannt. Und Knochen sehen alle egal aus."
Von unten, aus dem verkohlten Loch, rief eine Stimme: „Gebt mal 'ne Schaufel 'runter. Ich kriege das nicht in den Eimer!"
Es gab nichts mehr in der Stadt, was Bindig hätte suchen können. Es gab niemand, mit dem er hätte sprechen wollen. Er steuerte den Wagen durch die mit Trümmern übersäten Straßen und legte sich irgendwo hinter den Villen am Stadtrand so lange ins Gras, bis es Zeit war, den Major zu holen.
Der Major war aufgeräumt und zuversichtlich. Es wiederholte sich selten ein Angriff wie dieser. Seine Familie hatte den Krieg, soweit er aus der Luft kam, überstanden.
Er sagte mit einem zugekniffenen Auge zu Bindig: „Diese Schlumpschützen! Unsere Fabriken wollten sie treffen!
Das Gummiwerk und die Autofabrik, und was haben sie getroffen? Ein paar lumpige Wohnhäuser! Es hat nicht gelohnt, daß sie die vielen Kilometer geflogen sind."
„Sollten sie so weit danebengezielt haben, Herr Major?" fragte Bindig. „Die Werke liegen ziemlich weit außerhalb. Nichts ist aus der Luft besser zu erkennen als diese Werke."
„Banditen!" brummte der Major. „Die Banditen hatten zuviel Angst, um richtig zu zielen! Ist in Ihrer Familie alles in Ordnung?"
„Tot", sagte Bindig.
„Oh", machte der Major. Dann sagte er: „Ich werde dafür sorgen, daß Sie Urlaub bekommen. Sofort, wenn wir zurück sind, werde ich veranlassen, daß Sie Urlaub bekommen. Mein Beileid, Junge, das ist sehr hart für Sie ..."
„Danke", antwortete Bindig.
Er nahm keinen Urlaub, denn er wußte nicht wozu. Es würde keine Begräbnisse in der Stadt geben, denn es wußte niemand mehr, wer sich da gerade in dem Häufchen von Überresten befand, die verscharrt wurden.
Dann kam der erste Einsatz. Bindig dachte nun nicht mehr daran, daß der Krieg ja eines Tages vorbei sein würde und er wieder heimgehen konnte. Für ihn war jeder, gegen den er kämpfte, einer, der Sabine getötet hatte, und das war so lange der Fall, bis er Zado näher kennengelernt hatte und bis er so viele Tote gesehen hatte, daß er sich zu fragen begann, ob das jemals ein Ende nehmen würde. Irgendwo, in dem Hinterzimmer einer Spelunke, nahm er zum erstenmal ein Mädchen. Es hatte schlaffe, spitze Brüste und einen spinnigen, dürren Körper, aber es war ihm gleich. Er nahm sie, und er nahm später die Witwe, die ihn zum Kaffeetrinken einlud, und die andere, deren Mann vermißt war, und eine mit blondem Haar, ohne daß er dabei an Sabine erinnert wurde.
Ihr Bild verblaßte schnell, wie oft die erste Jugendliebe sehr schnell vorbeigeht. Die Erinnerung versank, und er tötete längst nicht mehr, weil er sich einbildete, Sabine zu rächen, sondern weil er es gelernt hatte wie ein Handwerk, Manchmal sehnte er sich nach seinen Büchern zurück und nach seiner Bibliothek. Aber diese Gedanken zwischen der Todesangst der Einsätze und dem erschöpften, bleiernen Schlaf nach der Rückkehr waren blaß und kraftlos. Sie verflogen wie die Erinnerung an Sabine. Und da war Timm. „Macht es euren Weibern noch mal richtig", sagte Timm, „morgen nacht hüpfen wir."
Sie lagen in einem Ort, in dem es noch Frauen gab. Manchmal hatten sie in einem Quartier, in dem sie zu fünft lagen, alle zusammen eine Frau oder zwei. Einmal war es eine Mutter mit ihrer Tochter, und sie drehten das Licht nicht ab dabei. Die Frauen hatten in diesen Dörfern gewohnt, und sie kamen zu den Soldaten, weil sie wußten, daß in ihrem Gepäck noch holländischer Eierlikör war und amerikanische Beutezigaretten. Sie wußten, daß die Soldaten Schokolade bekamen und Bananenschnitten und Zucker. Und mancher von denen, die im Westen gewesen waren, hatte in seinem Gepäck noch ein seidenes Halstuch.
„Das ist es, wofür wie kämpfen!" sagte Zado. „Das und der Schnaps sind unsere Kriegsziele, Kleiner. Wir krepieren für eine gute Sache."
Einmal antwortete ihm Bindig: „Es geht nicht
Weitere Kostenlose Bücher