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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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andere nehmen", sagte Warasin, „bei manchen anderen wird es leichter sein, sie Recht und Unrecht unterscheiden zu lehren. Aber wir werden Bindig nicht auslassen und alle anderen nicht, die seinen Weg gegangen sind. Es wird uns schwer fallen, wenn wir uns erinnern, was sie getan haben, aber wir werden Geduld mit ihnen haben, wenn sie es wert sind."
    Die Frau setzte sich auf einen Hocker in der Ecke hinter dem Herd. Sie stützte den Kopf in die Hände und sagte: „Ihr nehmt euch viel vor. Noch habt ihr nicht gesiegt, aber ihr macht schon Pläne für später. Man weiß nicht, ob man euch belächeln soll oder bewundern..."
    Warasin nickte leicht mit dem Kopf. Er stand am Tisch, mit dem Rücken zum Fenster, die Augen auf die Tür gerichtet, und wartete darauf, daß Bindig eintreten würde.
    „Den Sieg wird uns niemand mehr nehmen", sagte er leise, „Bindig und so viele andere Bindigs sollen bis dahin lernen, ein besseres Deutschland zu bauen. Mein Gott, sie können es lernen, wenn sie den Willen dazu haben ..."
    Das Artilleriefeuer dauerte an. Manchmal lagen ein paar Einschläge so nahe, daß man sie deutlich aus dem allgemeinen Grollen heraushören konnte.
    „Es nimmt gar kein Ende", sagte die Frau, „es ist, als wollten sie aus der ganzen Erde einen einzigen Brei von Blut und Dreck machen. Sie geben keine Ruhe, bis alles tot ist, was sie töten können ..."
    Klaus Timm:
    Wo ich bin, wird gestorben
    Seinen ersten Lebenslauf schreibt dieser hagere Mann mit den kalten Augen, als er zur Unteroffiziersschule kommandiert wird. Er ist sechsundzwanzig, und er ist verheiratet mit einer Frau, die in jeder Nacht weint, die er bei ihr verbringt. Timm schreibt nicht gerne, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, als zum Federhalter zu greifen. Er holt sich drei Flaschen Bier aus der Kantine, und dann beginnt er. Auf dem Zettel, den er abgibt, steht:
    „Ich heiße Klaus Timm und wurde 1912 geboren. Mein Vater, Max Timm, war Schuhmachermeister, und auch ich lernte dieses Handwerk. Ich war in Hanau in der Lehre. Habe zwei männliche Geschwister. Gehöre seit 1930 der SA an. In der Kampfzeit war ich bei vielen Kämpfen dabei. 1931 habe ich zum erstenmal den Führer gesehen. 1932 verlor ich die Arbeit wegen nationalsozialistischer Betätigung. Sollte wegen Körperverletzung bestraft werden, der Prozeß wurde aber eingestellt, als der Führer die Macht übernahm. Danach bin ich beim Westwallbau gewesen und bis zur Wehrmacht im Reichsarbeitsdienst als Truppführer. Mein Ziel ist die Unteroffizierslaufbahn."
    Klaus Timm war aus dem Material, aus dem man Unteroffiziere macht. Er stand noch aufrecht, wenn die anderen schon keuchend am Boden lagen. Wenn er auf dem harten Boden der Turnhalle seine Fallübungen machte, zogen die anderen die Köpfe ein. Er war als erster auf den Beinen, wenn vom Turm gesprungen wurde. In der Maschine, wenn sie über den Exerzierplatz flogen, saß er mit eisernem Gesicht, bis gesprungen wurde. Er lief bereits mit vorgestreckter Maschinenpistole vorwärts, wenn die anderen noch ihre Schirme unterliefen. Er wurde nicht müde. Seine Schuhe waren genauso geputzt, wie die Ausbilder es wünschten, und auf seinem Spind fand sich trotz genauester Untersuchung nicht das geringste bißchen Staub. Er tat alles gewissenhaft und vorschriftsmäßig. Als er sein Patent in der Tasche und die Litzen auf den Schulterstücken hatte, ärgerte er sich, weil sie ihn nicht nach Spanien ließen. Aber er wurde wenig später entschädigt. Das war, als Conrad seine Besichtigung abhielt. Conrad war General. Er war der Chef der Truppe und ihr Schrecken. Wenn er kam, ließ er den Soldaten Ausgang geben und ließ dafür die Unteroffiziere über den Exerzierplatz robben. Er tat es mit System, aber nur wenige dachten darüber nach. Jeder wußte: Wenn Conrad erscheint, gibt es einen Tag lang keine Gnade.
    Timm stand vor seinem Zug und kommandierte: „Rührt euch!"
    Er ging ein paar Sehritte näher an die Soldaten heran und musterte sie. Dann blieb er stehen und stemmte die Arme in die Seiten. „Herrschaften", sagte er gemütlich, „morgen früh kommt Conny. Ihr wißt, wer das ist. Eine Besichtigung mit Conny ist kein Tanzvergnügen. Ich warne jeden, aufzufallen. Meinetwegen könnt ihr die ganze Nacht durch an euren Klamotten herumschrubben, aber wenn mir einer mit einem Knopf auffällt oder mit Schuhen, dann wird er noch an mich denken, wenn er schon im Grab liegt. Wenn einer mit Waffen auffällt, wird er noch länger an mich denken.

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