Die Stunde der toten Augen
Dreiviertelstunde später lagen sie jenseits des Wassers im Rücken des Maschinengewehrnestes. Sie hatten es ein wenig tiefer vor sich liegen und konnten die Stahlhelme der Soldaten sehen. Es waren fünf. Sie hockten um die beiden Maschinengewehre und beobachteten das andere Ufer.
Als der Granatwerfer aufgestellt war, sagte Timm zu der Bedienung: „Der dritte Schuß muß sitzen, verstanden?"
Die Männer brachten es fertig, mit dem zweiten Schuß bereits so nahe an das Maschinengewehrnest heranzukommen, daß dort zwei von den Polen starben. Die anderen drehten die Waffen herum und schossen zurück. Der Granatwerfer spuckte seine Geschosse auf das Loch. Die Einschläge saßen immer nur wenige Meter neben dem Rand, und es starben dort zwei weitere Männer. Der letzte schoß noch eine Weile, aber er kam gegen das Feuer der sieben Deutschen und gegen den Granatwerfer nicht an. Er deckte sich ausgezeichnet. Wenn Timm dachte, er sei tot, ließ er wieder das Maschinengewehr aufbellen. Sie hatten keine Granaten mehr für den Werfer, und Timm befahl anzugreifen. Er selbst blieb in der Deckung hocken und zielte genau auf die Stelle, an der stets der Kopf des Polen auftauchte. Die Männer waren ein paar Schritte gelaufen, als dort der Kopf auftauchte und das Maschinengewehr wieder zu rattern begann. Timm schoß, und das Maschinengewehr schwieg, aber Sekunden später ratterte es wieder. Die Männer warfen sich jedesmal hin und schossen. Auch Timm schoß. Aber er traf den Polen nicht, weil der zu geschickt war. Das ging einige Minuten so. Doch Timm war nicht der Mann, der das mit ansehen konnte. Er sprang ganz plötzlich auf und schrie den Männern zu: „Los, schießen! Nicht aufhören!"
Es waren hundert Meter oder etwas mehr zu laufen. Nur einmal kamen ein paar Schüsse aus dem Maschinengewehr, aber die trafen Timm nicht, weil der Pole nicht wagte, weit genug aus dem Loch herauszublicken. Er erwartete Timm mit der Pistole in der Hand. Doch Timm war schneller. Seine Maschinenpistole traf sicherer als die kurzläufige Pistole des MG-Schützen. Der Leutnant drückte ihm die Hand, als er die Kompanie über die Brücke geführt hatte.
Sie hatten keine Lust, die beiden Maschinengewehre mitzunehmen, die in dem Loch lagen, vom Blut der Polen bespritzt und von einzelnen Kugeln getroffen. Als die anderen weiterzogen, warf Timm vier Zusammengebundene Handgranaten in das Loch. Die polnischen Soldaten waren danach nicht mehr zu erkennen und die Maschinengewehre unbrauchbar. Im nächsten Dorf, durch das sie marschierten, erschoß er im Vorbeigehen einen Hund, der neben der Kompanie herlief. Es war ein kleiner, spitznasiger Dorfköter. Die Kinder, die noch nicht geweint hatten, als sie die Soldaten hatten kommen gesehen, weinten nun, nachdem sie durchmarschiert waren. Zwei Tage vor Ende des Feldzuges verlieh der Leutnant Timm das Eiserne Kreuz. Dann wurden sie verladen, und die Ausbildung ging weiter. Die Kompanie wurde verstärkt. Sie bekamen neue Schirme, obwohl sie die alten noch nicht einmal benutzt hatten.
Bei Eben Emael nahm Timm einen Major gefangen. Es war ein alter Mann, der mit erhobenen Händen aus einem der Forts geschlichen kam und unsicher ins Sonnenlicht blinzelte. Es ging alles sehr schnell, und als es vorbei war, ärgerte sich Timm, daß es keine Ziele mehr für seine Maschinenpistole gab. Dafür gab es Mädchen. Dort und später in Frankreich. Und in Frankreich kam der Wein dazu.
Einmal ging Timm mit einer ganzen Gruppe in ein Bordell. Sie stellten einen Posten an die Tür, der jedem erklärte, hier fände eine Razzia statt. Sie hatten in der Gruppe einen, der war erst vier Monate Soldat. Ein stiller Gärtnergehilfe aus Kassel. Er war so unvorsichtig, zu sagen, daß er in diesem Bordell zum erstenmal eine ausgezogene Frau sähe. Sie schleppten ihn mit Hallogeschrei in den Raum, wo um das breite Bett die Stühle für die Zuschauer standen, und als er sich verschämt weigerte, brüllte Timm mit vom Wein geröteten Augen: „Ausziehen, marsch! Dienstlicher Befehl!"
Das Mädchen lag auf dem Bett und kicherte. Ihr fehlten zwei Schneidezähne im Oberkiefer.
Gegen Morgen, als sie grölend heimzogen, versprach Timm dem Gärtnergehilfen gönnerhaft: „Für dich ist heute dienstfrei, mein Lieber!"
Er trainierte seinen Zug drei Wochen, bevor sie in Kreta abgesetzt wurden, Um diese Zeit begannen die Männer Timm zu hassen, aber er lachte sie aus. Er wußte, was sie brauchten, um den Haß wieder zu vergessen. Am letzten Tag der
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