Die Stunde der toten Augen
diese Angst langsam zu weichen. Sie verschwand bei den meisten der Männer, wenn sie den fremden Boden berührten. Ihre Nerven glichen angespannten Stahlsaiten, aber sie wurden zu quälenden, elektrisch geladenen Drähten, wenn die große Spannung nachließ, wenn sie auf dem Rückweg waren, wenn sie wieder landeten oder wenn sie durch die Frontlinien gekrochen waren und alles hinter sich hatten. Das alles lief unter dem nichtssagenden Namen „Spähtrupp" ab, und niemand anderes als die IcOffiziere der Heeresgruppen wußten genau, wie das Handwerk der Frontaufklärungsverbände aussah.
Über die Landstraße, die auf das Dorf Haselgarten zulief, knatterte ein Motorrad. Als es im Dorf hielt, stieg der Soldat, der zusammengekauert auf dem Sozius gehockt hatte, umständlich ab, reckte seine Glieder und tippte leicht an die Mütze. Er trug die gescheckte Jacke über dem Uniformrock, hatte die Mütze weit ins Genick geschoben und einen weißen Wollschal nachlässig um den Hals geschlungen. An der Hüfte baumelte ihm eine Pistole in einer abgewetzten Ledertasche. Er war glatt rasiert und hatte einigermaßen saubere Fingernägel unter den Lederhandschuhen. Er stieß ein paarmal mit den Füßen auf die gefrorene Erde und sagte dann mit einem Lächeln um die Mundwinkel: „Der Obergefreite Zadorowski dankt fürs Mitnehmen."
Er zog eine gefüllte Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und hielt sie dem Fahrer hin. Der zog sich den Handschuh aus und griff zu. Er nahm mehrere Zigaretten und sagte: „Ihr Brüder habt wenigstens immer was zu rauchen."
„Haben wir", stellte Zado sachlich fest, „aber dafür habt ihr Stabsmelder immer die Weiber in der Nähe. Auch nicht zu verachten. Brauchst du Feuer?"
„Nein", sagte der Fahrer, „ich muß weiter zu diesem beschissenen Gefechtsstand von der Infanterie. Die Telefonleitung ist hin, und die merken es nicht mal. Hast du schon die Blonde von unserem Zahlmops gesehen?"
„Habe ich." Zado nickte. Er überlegte eine Sekunde lang und nahm dann eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. „Klasse!" sagte er, den Rauch durch die Nasenlöcher stoßend. „Hat einen Brustkorb wie die Königin von Saba auf den Zigaretten- schachteln."
„Ja", sagte der Fahrer, „aber sie läßt keinen 'ran. Nicht einmal unseren Furier, und der hat nicht bloß Verpflegung zu bieten. Der war mal dafür bekannt, daß er jede herumkriegte."
Zado sah sich auf der Dorfstraße um. Sie war leer. Er stieß den Rauch aus und sagte: „Schläft wahrscheinlich mit dem Zahlmops. Das hat man öfter."
Der Fahrer schüttelte den Kopf. Es war ein kleiner, gedrungener Soldat, der wie eine Baumwanze auf dem Sitz der Maschine hockte. „Eben nicht", erklärte er Zado, „der Zahlmops schläft jede Nacht bei der Frauenschaftstante. Wir passen nämlich auf."
„Gut", sagte Zado grinsend. „Sonst habt ihr ja auch weiter nichts zu tun. Aber eine Frauenschaftstante so dicht an der Front? Hat die vielleicht den Treck verpaßt?"
„Ich weiß nicht. Sie hält den Dorfweibern immer Reden. Außerdem hat sie Krampfadern, ich habe es gesehen."
„Sie sollte etwas dagegen tun. Ich habe Leute gekannt, die an Krampfadern gestorben sind. Und wer schläft nun wirklich bei der Blonden?"
„Niemand", sagte der Fahrer. Es klang beinahe sehr traurig. „Sie läßt keinen 'ran."
„Sie wartet auf den Kommandierenden General", sagte Zado bissig, „sie will eine gute Partie machen. Das ist verständlich. Solche sind teuer, von denen soll man lieber die Finger lassen. Man soll sich nur mit Mädchen abgeben, die solide Preise machen. Laß dir sagen, Deutscher, an der Blonden ist auch nicht mehr dran als an den Schälweibern in der Küche. Wenn die Weiber erst im Bett liegen, haben alle dieselben dämlichen Gesichter."
Der Fahrer verzog die Lippen. Dann lachte er leise und spuckte aus. Er dachte an die Blonde, und er haßte sie während dieses Lächelns wegen ihrer Starrköpfigkeit. Er sagte, ein Auge dabei leicht zukneifend: „Wenn du wüßtest, was ich ihr an den Hals wünsche ..."
„Du bist ein schlechter Mensch", sagte Zado. Er schüttelte den Kopf und lachte. „Gott straft die schlechten Menschen!"
„Gott ist bei Stalingrad gefallen ...", brummte der Fahrer.
„Ich weiß!" nickte Zado. „Er hat uns seinen Vertreter zurückgelassen. Und die Vorsehung. Damit wir den Krieg nicht verlieren." Er sah nach der Uhr an seinem Handgelenk und sagte: „Ich will dich nicht fortjagen, Deutscher. Aber
in einer halben Stunde
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