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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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hättest in Hamburg bleiben können oder in Berlin. Du hättest dir das denken können. Ein Mädchen ist ein Mädchen. Sie sind alle gleich. Ob sie Madame Doris heißen oder Meisje oder Franziska. Man träumt, daß sie sich unterscheiden, aber sie unterscheiden sich nicht. Höchstens äußerlich. Sonst sind alle gleich. Und man ist selber so. Dieses Leben ist ein Misthaufen, und wir sind die Maden, die darauf herumkriechen. Es ekelt einen an. Aber man kann es nicht ändern. Die Träume der Jugend sind ausgeträumt. Das Mädchen mit dem Flammenhaar gibt es nicht mehr. Blütenprinzessin mit dem Flammenhaar. Hure mit den geschmeidigen Gliedern. Mit dem Parfüm unter den Achseln. Franziska stand aus dem Bett auf und öffnete das Fenster. Die Nachtluft wehte herein, und er sah die Silhouette ihres Körpers vor dem blassen Sternenhimmel. Sie neigte sich über ihn, nackt, wie sie war, und er erinnerte sich, wie sie früher die Decke über sich gezogen hatte, wenn sie sich nur aufrichtete.
    „Morgen werde ich abfahren", sagte er nachdenklich. Sie setzte sich zu ihm auf den Bettrand. Er sah ihre Nacktheit nicht. Sie berührte ihn nicht mehr.
    „Ich werde dir schreiben", versprach sie, „und ich werde auf dich warten. Wenn der Krieg vorbei ist, wirst du wieder arbeiten, und dann kaufen wir ein neues Auto. Wirst du mich dann heiraten?"
    Blütenprinzessin, dachte er, Blütenprinzessin mit dem Flammenhaar. Hure mit roten Loden. Er fühlte, wie sein Körper schlaff und ohne Spannung war. Als habe man ihm sämtliche Sehnen durchschnitten.
    „Leg dich zu mir...", sagte er. „Wir wollen schlafen."
    „Wenn du wiederkommst, werden wir heiraten, ja?" drängte das Mädchen.
    „Wiederkommen ..." Er sah auf ihre spitzen Brüste und die feine Linie des Halses.
    „Ich werde nicht wiederkommen", sagte er, „ich weiß es, daß ich nicht wiederkommen werde. Ich gehe nicht auf Tournee, sondern in den Krieg. Komm, leg dich zu mir. Es ist das letztemal. Die letzte Stunde, die wir zusammen sind. Die letzte Liebe und das letzte Nachtgebet." Er rückte beiseite, und sie legte sich neben ihn. Sie war still. Er roch den Duft ihres Haares und hörte ihren Atem. Ihre Glieder waren heiß. Er spürte das alles in einer tiefen Traurigkeit, die er bisher nicht gekannt hatte. Er fühlte keinen Zorn auf sie. Er war sich nicht einmal klar, ob es wirklich Enttäuschung war.
    „Du wirst dir andere suchen müssen", sagte er brutal. „Andere können auch zärtlich sein. Andere haben auch Autos und Geld. Ich werde nicht wiederkommen, ich weiß es. Ich werde nicht wiederkommen, mein kleines Nachtgebet, rothaariges ..."
    Er rieb sich mit dem halbwegs sauberen Handtuch den Körper trocken. Dann zog er die Uniform wieder an, die er zuvor gesäubert hatte. Er trug das Waschwasser hinaus und goß es im Bogen über den Hof. Die Stube war voller Soldaten. Ein paar von ihnen schliefen auf den Strohschütten am Boden.
    Andere hockten um die Lampe herum und spielten Karten.
    „Zwanzig!" sagte einer. Er blinzelte Zado zu, als wolle er ihm versichern, daß er dieses Spiel auf jeden Fall gewinnen werde. Die Waffen hingen an Nägeln, die in die Wände geschlagen waren. Die Stube war verqualmt. Zado hockte sich an einen aus Birkenstämmen zusammengezimmerten Tisch und schrieb in einer Viertelstunde den Bericht über den Tod der beiden Feldgendarmen. Dann holte er aus seinem Gepäck noch eine Schachtel Schokolade und ein paar Zigaretten. Et fand ein Päckchen Kekse und nahm auch das mit. Als er auf die Uhr sah, zog er die Augenbrauen hoch; er mußte sich beeilen. Er sprang über die Straße und gab den Bericht ab, den er geschrieben hatte.
    Alf nahm ihn entgegen, ohne etwas zu fragen. Er sagte nur: „In Ordnung, Zado. Schlafen Sie sich aus."
    Zado streifte die gescheckte Tarnjacke über. Er schnallte das Koppel mit der Pistole um und verließ seine Unterkunft.
    Dann ging er die Dorfstraße entlang, an dem Schützenpanzerwagen vorbei, nach dem einsamen Gehöft. Die Front war still. Es wurde nur ganz selten mit kleinen Kalibern geschossen. Am Horizont flackerten weiße Lichter. Sie schießen Leuchtkugeln, dachte Zado, sie sind nervös. Sie belauern einer den anderen.
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Die Frau
    In der Stube war es merkwürdig still. Die Worte tropften zäh, gleichsam zögernd in den Raum. Es war, als bestünden sie aus einer dickflüssigen Masse, die sich schwer von den Lippen löste. Nichts war lebendig, nur die Augen der drei Menschen. An der Wand tickte eine Kuckucksuhr. Sie war

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